Wanjiku wa Ngugi: Die Scheinheiligen

scheinJe nachdem, was einem Menschen widerfährt, entwickelt er sein ganz persönliches Weltbild. Der reiche und zugleich beruflich erfolgreiche Anwalt Zack findet: „… Mein Großvater … sah ein, dass die Schwachen die Starken nähren, die Niederen die Höheren. Reichtum gedeiht nur auf Armut. Ich habe es nicht erfunden, aber so funktioniert die Welt eben …“ (S. 244)
Das Weltbild der jungen, schönen und armen Mugure hat seine Grundierung in Kenia erhalten. Zum ersten Mal lernt Mugure als junge Frau ihren Vater kennen, der ihr vier Jahre ein Studium in den Vereinigten Staaten bezahlen will. Danach müsse sie sehen, wie es mit ihr weitergehe, erklärt er ihr geschäftsmäßig in seinem Büro, um kurz darauf zu seinem nächsten Termin zu eilen. Mugure verlässt Kenia und ihre Mutter mit der Hoffnung auf ein besseres Leben.
Als das Geld aufgebraucht ist, droht Mugure ihre Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren. Gerade noch rechtzeitig lernt sie Zack kennen und lieben. Und wie in einem Märchen aus 1001 Nacht beginnt nach der Hochzeit ein Luxusleben. Weil die Ehe kinderlos bleibt, kommt der Vorschlag aus dem Freundeskreis, sie könnten ein Kind aus Kenia adoptieren. Mit dem kleinen Jungen Kobi verändert sich Mugures Leben. Sie ist fast glücklich, wenn nur nicht die Frage über Kobis Herkunft noch offen wäre. Und je mehr sie fragt, um so mehr Ungereimtheiten tauchen auf, die ihr keine Ruhe mehr lassen. Mugures Weltbild beginnt sich aufzulösen wie ein gestrickter Pullover, bei dem sie versehentlich einen losen Faden gezogen hat. Einmal angefangen kann sie nicht mehr aufhören, daran zu ziehen. Zug um Zug entdeckt sie nicht nur die hässlichen Seiten am Geldverdienen, sondern sie läuft auch Gefahr, ihr Leben zu verlieren.
Die Autorin Wanjik? wa Ng?g? wurde im Norden von Kenia geboren. Heute lebt sie in Finnland, wo sie sich kulturell engagiert und gleichzeitig als Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Printmedien schreibt. Sie hat sich in ihrem Debütroman dem wichtigen und zugleich brisanten Thema „Menschenhandel“ angenommen. Mal nüchtern, mal schnell skizziert sie Mugures Entdeckungsreise, die zugleich ein globales Geschäft um die Ware „Mensch“ beschreibt. Im Vordergrund stehen die brüchigen Kulissen eines Familienlebens, das vom Reichtum geprägt wird. Besitz wird hier neu definiert. Sowohl Vorzeigeehefrau als auch Vorzeigekind scheinen ihrer Aufgabe gerecht zu werden, bis die Ehefrau Mugure ihr Bild von einem guten Leben neu definiert. Am schnellen Ende des Romans stellt sich nicht nur dem Leser die Frage, ob das eigene Weltbild einzig und allein von einer kapitalkräftigen Wertschöpfung geprägt werden sollte. Menschlichkeit hätte in einer solchen Ordnung keine Währung mehr.

Wanjiku wa Ngugi: Die Scheinheiligen.
A1 Verlag, August 2014.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,80 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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