Tyler Whitesides: Die Tausend Leben des Ardor Benn: Die Abenteuer des Meisters von List und Tücke 01

Nicht weniger als eine Million Aschlinge wird mir für einen einzigen Coup versprochen!

Gestatten, dass ich mich vorstelle, Ardor Benn der Name, selbst ernannter Meister von List und Tücke, die Regulation nennt mich despektierlich einen Dieb – Frechheit, so etwas!

In meiner Heimat Beripent bin ich ob meiner Coups bekannt und geachtet – ja gut, nicht von allen, insbesondere die Gesetzeshüter und die Opfer meiner Beutezüge sind nicht ganz so gut auf mich zu sprechen. Dennoch, ich habe einen schwer erarbeiteten Ruf, das muss mir erst einmal jemand nachmachen! Eben jener Ruf führt dazu, dass ich dieses unschlagbares Angebot bekomme – nicht nur das Salair ist exorbitant, das Risiko und die Herausforderung sind auch nicht zu verachten.

Ich soll, natürlich begleitet und mit Hilfe zweier Helfer, dem besten Malmmischer des Reiches und der versiertesten Diebin der Stadt, dem König seine zwei Herrscherinsignien entwenden. Sobald das geschafft ist, geht es nach Pekal wo die beschafften Insignien den Drachen zum Fressen, Verdauen und Verbrennen untergeschoben werden. Aus den Überbleibseln wird dann der legendäre Paladinmalm gewonnen, der die märchenhaften Krieger von jenseits des Meeres beschwören kann.

Soweit der Auftrag und die Theorie. Doch, wir alle wissen, dass alle Theorie zumeist grau, die Praxis dagegen der goldene Baum ist. Man kann auch sagen, alles, was schiefgehen kann, auch schiefgehen wird, die Aufgabe damit natürlich nur noch ein klitzekleines Bisschen interessanter und herausfordernder …

Was ist das für ein Klopper von einem Buch! Fast achthundert Seiten, relativ kleiner Satzspiegel – da bekommt man als Lesender doch sehr viel Text fürs Geld.

Einmal mehr liegt der Auftakt einer Trilogie vor mir, eines Dreiteilers, der im Original bereits fertig geschrieben und veröffentlicht wurde. Insoweit dürfte einer zeitnahen Publikation bei Panini nichts im Weg stehen.

Jetzt aber zu der wirklich wichtigen Frage; – lohnt sich die lange Lektüre überhaupt?

Zunächst präsentiert uns der Autor eine Anlage, wie sie uns zum Beispiel auch Loke Lamora (Scotty Lynch – Der Loke Lamora Zyklus, Deutsch bei Heyne) und / oder die Krähen (Leigh Bardugo – Krähen-Reihe, Deutsch bei Knaur) anbieten. Man setzte also einen Dieb ins Zentrum des Geschehens, der aber nicht etwa pump und mit Gewalt agiert, sondern gewitzt, mit List und Tücke gegen die reichen Opfer vorgeht. Das hat den Nimbus, dass es entweder die trifft, die es verdient haben oder diejenigen, die sich leisten können, die ihren Reichtum nur allzu oft selbst unredlich verdient haben, die durch gnadenloses Ausnutzen ihrer Mitmenschen die Leiter des Erfolgs erklommen.

Dazu kommt, dass unsere Erzähler so einiges an Talent und Anstrengung investieren müssen. Es gilt einen erfolgsversprechenden Plan zu entwickeln, diesen dann zu realisieren und, wenn alles gut geht, am Ende erfolgreich ihren Häschern zu entgehen. Dass das Buch deutlich zu lang geworden ist, dürfte angesichts der Seitenzahl klar sein. Insbesondere im Mittelteil, als sich eine – letztlich unnötige – Wendung an die nächste reiht, braucht man als Lesender Sitzfleisch. Bei all der Dramatik, die unseren Erzählern widerfährt, bei den vielen Offenbarungen, die Whitesides sich für uns hat einfallen lassen, es zieht sich. Dumm dabei, dass man nicht einfach einmal 100 Seiten überfliegen oder gar überblättern kann, erhält man doch wichtige Geheimnisse peu à peu in homöopathischen Dosen gut verteilt angeboten. Und diese Informationen braucht man, sonst kann man der Handlung nicht wirklich folgen.

Geschickt dagegen, dass der Verfasser immer wieder den Fokus wechselt – von unseren Gaunern hin zu deren Auftraggebern und zurück. Merkwürdigerweise nimmt die Bühne, auf der all dies abläuft, recht wenig Gestalt an. Die Stadt bleibt in ihrer Ausarbeitung rudimentär, die ganze Welt unscharf.

Tja und damit komme ich zum letzten Fünftel des Romans – einem Abschnitt, ab Kapitel 37, in dem Whitesides seinen kompletten Plot mit einer Offenbarung in den Orkus versenkt. Ein Twist, der nicht vorhersehbar war, der mich zumindest aber in keinster Weise überzeugt hat. Ich möchte an dieser Stelle der Spannung wegen nicht spoilern, allein die Offenbarung des Königs, die Verluste – all dies wirkte auf mich schlicht nicht stimmig. Die gesamte Handlung wird ad absurdum geführt, Konstanten über den Haufen geworfen, das Schicksal der Welt geändert.

So bleibt mir ein ambivalenter Eindruck. Zu Beginn ein Buch, das herrlich vergnüglich zu lesen war, das tolle, augenzwinkernde Abenteuer eines Maulhelden mit Herz offeriert, dann zum Finale hin eine abrupte Kehrtwende, die mich nicht überzeugen konnte.

Tyler Whitesides: Die Tausend Leben des Ardor Benn: Gentleman, Gauner, Legende.
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Bastian Ludwig.
Panini, Oktober 2022.
796 Seiten, Paperback, 19,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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