Tana French: Der Sucher

Carl Hooper war ein Cop in Chicago, jetzt hat er beschlossen Dorfbewohner in Irland zu werden. Weg von der hektischen Großstadt und hinein ins beschauliche Dorfleben. Ein noch auszubauendes Haus, ein zu pflegender Garten und lange Spaziergänge wirken beruhigend auf seine überreizte Seele. Aber seine Reflexe funktionieren nach wie vor. Er wird beobachtet, er ist sicher. Ist es nur einer der neugierigen Nachbarn oder steckt mehr dahinter? Hier, auf dem ruhigen Dorf, wo nie was passiert.

Es ist nur ein Kind, das bei ihm auftaucht, immer wieder. Erst versteckt, aber mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen kommt es näher, arbeitet mit Carl, spricht schließlich sogar mit ihm. Bittet ihn um Hilfe. Denn der geliebte große Bruder ist verschollen, schon mehrere Monate. Eines Tages ging er aus dem Haus und kam einfach nicht zurück. Carl soll helfen, denn er ist doch schließlich Polizist.

Carl zögert. Er ist kein Cop mehr, aber der Drang, das Kind nicht zu enttäuschen ist größer. Langsam und vorsichtig beginnt er Erkundigungen einzuziehen. Stößt auf Widerstände. Die so freundlichen und betulichen Dorfbewohner und Farmer sind plötzlich gar nicht mehr so freundlich. Carl wird nachdrücklich gewarnt, seine Finger aus der Sache rauszulassen. Der Junge ist einfach in die nächste Stadt abgehauen. Und überhaupt taugt die ganze Familie nichts. Er soll es auf sich beruhen lassen und keine Welle aufbauen.

Das kann Carl nicht und so führt uns Tana French in einen Roman voller Geheimnisse, Dunkelheit, Treue und Verrat. Und auch Grausamkeit und Gleichgültigkeit.

Ich bin nicht bei jedem ihrer Romane ein Fan von Tana French, aber diesen hier fand ich außergewöhnlich gut. Carl ist ein beeindruckender Protagonist, dessen Einfühlungsvermögen den Roman trägt. Dabei kann er auch mal zuhauen, wenn es sein muss. Wie er dem Kind nach und nach Zutritt zu seiner selbst gewählten Isolation gewährt und wie es ihn fast zerreißt, als er um Hilfe gebeten wird haben mich sehr berührt. Die ach so freundlichen Dorfbewohner mit den Leichen im Keller erinnern an die besten Romane von Petra Hammesfahr. Tana French kann die irische Form der Spießigkeit genauso genüsslich sezieren. Der Titel sagt in diesem Fall eigentlich schon alles. Carl ist auf der Suche. Aber nicht nur nach dem verschwundenen Jungen, sondern auch nach sich selbst, nach innerer Ruhe und nach einem neuen Ziel im Leben. Er steht dabei am Ende seines (Arbeits)Lebenswegs, das Kind und auch der Bruder haben das aber noch vor sich. Daraus entsteht eine wunderschöne innere Spannung, die den ganzen Roman über nicht nachlässt.

Fazit: Spannend, dabei aber auch berührend und ein Protagonist, der im Gedächtnis bleibt.

Tana French: Der Sucher.
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrike Wasel & Klaus Timmermann.
Scherz, September 2021.
496 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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