Sin Blaché und Helen Macdonald: Prophet

Helen Macdonald hat 2015 den Bestseller „H wie Habicht“ geschrieben. 2021 erschien ihre Essaysammlung  „Abendflüge“. Nun hat sie sich mit Sin Blaché zusammengetan und herausgekommen ist „Prophet“, Science Fiction, Thriller, Liebesgeschichte, Mystery und Horror, alles in einem. Der Carl Hanser Verlag veröffentlichte die deutsche Ausgabe in einer Übersetzung von Thomas Gunkel am 21. August 2023.

„»Das Ende der Welt sind Menschen, die an ihren Spielsachen kleben.«“ (S. 441)

Ich kann es gleich zu Beginn sagen: „Prophet“ hat das Zeug, zu einem meiner Lieblingsbücher 2023 zu werden.

Phantastisch, schnell und spannend geschrieben mit zwei sehr ausdrucksstarken Charakteren in einer gesellschaftlich und politisch brisanten Story. Das ist guter Stoff für Leserinnen und Leser.

Und um Stoff geht es auch in dem Buch. Da tauchen zunächst unerklärliche Objekte in England auf, in deren Umfeld es zu Todesfällen kommt. Mit der Aufklärung der mysteriösen Vorfälle werden Sunil Rao, Ex-MI6-Agent mit indischen Wurzeln und Adam Rubenstein, Lieutenant Colonel der US-amerikanischen Armee, betraut. Sunil Rao ist ein traumatisiertes, drogen- und alkoholaffines Sicherheitsrisiko für jeden Einsatz. Er besitzt jedoch die einmalige Gabe, Lügen und Unwahrheiten zu erkennen. Adam Rubenstein ist ein emotionsloser Killer in Uniform. Die beiden kennen sich aus vergangenen Missionen. Raos Fähigkeit versagt bei Rubenstein. Und Rubenstein soll auf Rao aufpassen. Sie machen sich an die Arbeit. Stoßen auf immer neue Fälle von erschaffenen Dingen, bis sie schließlich in einem Labor von Lunastus-Dainsleif Bio Science, Denver, USA, landen. Dort treffen sie auf Dr. Veronica Rhodes und Kent Montgomery, die an einer Substanz arbeiten, die sie „Prophet“ nennen.

Sie bewirkt bei Menschen, dass sie sich an schöne Dinge oder Momente aus ihrer Vergangenheit erinnern. Nostalgie. Diese Erinnerungen werden manifest und versetzen ihre Urheber in Trance. Allerdings verändert sich die Substanz sukzessive. Die Wissenschaftler sind fasziniert und stellen immer neue Menschenversuche an. Rao und Rubenstein werden selbst zu Versuchskaninchen und reagieren sehr unterschiedlich darauf. Sie wissen, dass sie „Prophet“ vernichten müssen. Es kommt zum Showdown in Mercury, Nevada. Und auch für Rao und Rubenstein verändert sich alles.

„Prophet“ von Sin Blaché und Helen Macdonald hat mich als Lesende fasziniert. Da sind zuallererst die Charaktere, Rao und Rubenstein, die sie mit pathologischen Identitäten ausstatten und die sich lieben. Ihre Dialoge sind grandios. Ok, manchmal hart an der Klischeegrenze, aber das ist verzeihlich:

„»Erzähl mir nicht, dass du es satthast, Leute zu erschießen. Verdammte Scheiße, Adam! Hast du zu Gott gefunden oder was?«

»Rao, du wolltest wissen, wie’s mir ergangen ist. Ich war beschäftigt.«

»Klar. Herrgott nochmal. Bei dir auf den neuesten Stand zu kommen, ist, als wollte man in Fort Meade einbrechen. Keine Ahnung, warum ich überhaupt gefragt hab.« Rao grinst. Zwei waffenstrotzende F-15 fliegen dicht über ihre Köpfe hinweg. »Und?«, sagt er, als der Lärm es zulässt.

»Und was?«

»Willst du nicht fragen, wie es mir ergangen ist?«

Adam schüttelt den Kopf. »Das erzählst du mir schon.«“ (S. 29)

Und dann die Story: eine Substanz, die die Menschen nostalgisch und willenlos macht, eine fiese Wissenschaftler- und Reichenclique, die die Weltherrschaft anstrebt und zwei völlig durchgeknallte Helden, die die Menschheit retten sollen. Das ist mindestens so gut wie Ian Flemings James Bond. Und es gibt noch eine Geschichte in der Geschichte über einen Jungen, der unter einem sehr autoritären Vater leidet, von der man anfangs nicht weiß, wie sie in die Haupterzählung mündet. Später verschafft „Prophet“ hierüber Klarheit.

Über eine paar logische Lücken und zu dick aufgetragene Anspielungen sehe ich hinweg, angesichts der ‚Action‘, der Spannung und der Aktualität der Geschichte. Auch heute treibt vergangenheitsverklärender und nostalgischer Populismus sein Unwesen und ködert Menschen mit seinen falschen und vereinfachenden Versprechen. So ist „Prophet“ von Sin Blaché und Helen Macdonald eine ernste Botschaft in einer schillernden, feurig-explosiven Verpackung.

Sin Blaché und Helen Macdonald: Prophet.
Aus dem Englischen von Thomas Gunkel
Carl Hanser Verlag, August 2023.
528 Seiten, Gebunden, 25,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

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