Sash Bischoff: Sweet Fury: Zärtlich ist die Rache

Glitzer, Abgründe, Selbstermächtigung oder doch nur schöner Schein?

In unserer neuen Doppel-Rezension widmen wir uns einem Roman, der auf mehreren Ebenen spielt: zwischen Schein und Sein, zwischen Filmset, Rolle, Bewusstsein und gelebter Realität.

Zwei Lesende, zwei Blickwinkel: Wie erleben Olivia Grove und Wolfgang Mebs »Sweet Fury – Zärtlich ist die Rache«?
Ist es ein packendes Psychospiel oder pure Inszenierung? Ein feministischer Fiebertraum oder ein Spiegelkabinett der Eitelkeiten?

Lesen Sie weiter – und bilden Sie sich Ihr eigenes Urteil.

Rezension von Olivia Grove:

Ein Thriller, der sich in seinen Ambitionen verliert

Als die gefeierte Schauspielerin Lila Crayne für die feministische Adaption von Fitzgeralds »Zärtlich ist die Nacht« gecastet wird, scheint sie am Höhepunkt ihrer Karriere zu stehen …

Der größtenteils stilvolle, literarische Psychothriller beginnt elektrisierend: ein magnetischer Sog aus Glamour, Intelligenz und psychologischem Nervenkitzel. Die ersten Kapitel funkeln wie Champagner-Blubberbläschen. Auch der Stil des ersten Drittels war elegant, pointiert, fast berauschend. Ich liebte diese dichte Atmosphäre, dieses Spiel mit dem Künstlerinnen-Mythos und der Frage, wie weit man geht, um gesehen zu werden.

Doch irgendwann begann die Geschichte, sich selbst zu verlieren. Sie verhedderte sich in ihren eigenen Ambitionen. Aus der anfänglich präzisen Inszenierung wird ein überladenes, selbstverliebtes Spektakel, das zu laut, zu gewollt, zu sehr auf Effekt geschrieben war. Irgendwann war mir schlicht egal, was mit den Figuren passiert. Ein Warnsignal, dass ein Buch mich verloren hat.

Ich wollte »Sweet Fury« lieben, wirklich. Ich habe es zu Ende gelesen in der Hoffnung, es würde mich überraschen oder versöhnen. Aber dieser Moment kam nicht. Stattdessen fühlte ich mich, als hätte ich einem brillanten Schauspiel zugesehen, das irgendwann zu einer überdrehten Parodie seiner selbst wurde.

Was mir bleibt, ist Bewunderung für die Idee und das Wagnis, aber auch Enttäuschung darüber, dass das Feuer der ersten Seiten nicht gehalten werden konnte. Ich hätte mir mehr Mut zur Stille gewünscht, mehr Raum für Echtheit.

[Sidekick, trocken aus dem Off: Oh mein Gott, du warst in Princeton? Sollen wir es allen erzählen? Sollen wir eine Party schmeißen? Los, lass uns F. Scott Fitzgerald anrufen!]

Rezension von Wolfgang Mebs:

Dreh- und Angelpunkt des Romans ist ein Filmset in New York. Lila Crayne, eine berühmte Schauspielerin, und ihr Verlobter Kurt Royall, ein nicht minder erfolgreicher Regisseur, arbeiten an der Neuverfilmung von Zärtlich ist die Nacht, einer Erzählung von F. Scott Fitzgerald. Treibende Kraft ist Lila, die Fitzgeralds von einem antiquierten Frauenbild (und einer gehörigen Portion Rassismus) geprägten Roman in eine weibliche Emanzipationsgeschichte verwandeln möchte.

Für alle Literaturkenner ist das Buch von zusätzlichem Reiz, da Fitzgeralds Romane in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle spielen: in der Auseinandersetzung mit Frauenfeindlichkeit und männlichem Dominanzstreben, und als Parallelwelt zur Glitzerfassade Hollywoods (vor allem in The Great Gatsby, der ebenfalls in New York spielt).

Doch es geht um mehr. Die Arbeit an dem Film und ihrer Rolle veranlasst sie, gleichzeitig eine Therapie zu beginnen, um ihr eigenes Trauma aufzuarbeiten. Dass am Ende des Prozesses ein Mord geschieht, erfahren wir bereits im Prolog. Aber wer ist das Opfer, wer der Täter und was ist das Motiv?

Die Handlung wechselt zwischen Filmset und luxuriösem Alltag der Protagonisten, den Sitzungsprotokollen von Jonah Gabriel, Lilas Psychotherapeuten, und Lilas Therapietagebuch. Bereits Jonahs Protokolle wirken verdächtig: Entweder Jonah ist ein Amateur (redet zu viel; teilweise unprofessionelle Kommentare) oder er hat andere, zweifelhafte Motive. Auch Lilas Tagebuch wirft Fragen hinsichtlich ihrer Vertrauenswürdigkeit auf.

Bischoff, selbst Regisseurin, verwendet viel Zeit für die Schilderung der Dreharbeiten. Sie nutzt die detaillierten – bisweilen etwas weitschweifigen – Szenen in dreifacher Hinsicht: um die Doppelbödigkeit der Beziehungen der Filmfiguren und ihre Spiegelung in den Beziehungen der Crew selbst aufzuzeigen, und um patriarchalische, frauenfeindliche Strukturen und Denkmuster zu kritisieren. Die Filmbranche wird vorgeführt als selbstverliebt, ruhmsüchtig und oberflächlich. Gleichzeitig sind die Passagen voller Hinweise auf den Plot, voller Andeutungen und falscher Fährten.

Leider wird bereits zur Hälfte des Buches klar, worauf das hinauslaufen wird. Das von Lila genannte, Jahrzehnte verdrängte Trauma, ein Autounfall, bei dem ihr Vater starb, wirkt von Beginn an unglaubwürdig. Allzu plötzlich wird es ihr gleich in der ersten, geradezu banalen Hypnosebehandlung wieder bewusst. Mehr und mehr wachsen die Zweifel an ihrer Darstellung. Auch das Ziel ihrer Rache kristallisiert sich immer klarer heraus.

Auch wenn die folgenden Twists nichts an der erwarteten, grundsätzlichen Entwicklung des Plots ändern (dazu gibt es vielleicht auch schon zu viele ähnliche Rachegeschichten), spannend bleibt es dennoch angesichts des Gewirrs aus Gefühlen und dubiosen Motiven. Erst im letzten Viertel des Buches wird die Vermutung bestätigt, wer perfide zum Mörder getrieben wird, und erst ganz am Schluss enthüllen sich der ganze Plan und die eigentliche Ursache für die »süße Wut« der Protagonistin. Warum der Schluss nicht ganz überzeugen kann, kann hier natürlich nicht erklärt werden, ohne zu viel zu verraten.

Leider kann Bischoff sprachlich nicht voll überzeugen. Zum einen: Etwas zu oft werden Fenster mit Augen verglichen, und als es auf den Höhepunkt, den Mord, zugeht, häufen sich blutgetränkte Sonnenuntergänge. Greift sie zu unüblichen Vergleichen, entstehen mitunter ziemlich schräge Metaphern (die nicht mit einer schlechten Übersetzung erklärt werden können). Da gibt es »Hüften wie Pistolen«, den »großen Mund des Himmels«, den »feuchten Körper der Wahrheit« und »Seife, die wie ein Hockeypuck über [die] Haut gleitet«.

Zum anderen ist Lilas Tagebuch in exakt demselben Stil geschrieben wie der auktoriale Teil, was unpassend und unglaubwürdig ist. Stilistische Kreativität wäre hier überzeugender gewesen.

Dass die einzige Sexszene des Buches anatomisch verwundert, sei nur am Rande erwähnt.

Dennoch: Sweet Fury ist eine durchaus spannende und unterhaltsame Lektüre

über männliche Besessenheit und Machtmissbrauch, über weibliche Emanzipation und Selbstermächtigung, Unterwerfung und Aufbegehren. Und über den so verständlichen wie fragwürdigen Wunsch nach Rache. Am Ende stehen alle mit seelischen und moralischen Blessuren da.

Zwei kritische Perspektiven, ein Buch: »Sweet Fury« polarisiert.

Was denken Sie?

Ist dieser Thriller ein feministischer Schlag ins Patriarchat?
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Sash Bischoff: Sweet Fury – Zärtlich ist die Rache
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann.
Fischer, Oktober 2025
400 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove und Wolfgang Mebs.

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