Paula Daly: Stiefmutter

Die sechzehnjährige Verity hat versucht, ihre Stiefmutter Karen zu erwürgen. „Ich wusste, dass ich aufhören muss. […] Aber die Wahrheit ist: Ich wollte gar nicht. Ich bin mir ziemlich sicher, ich wollte, dass sie zu atmen aufhört.“ [Zitat S. 201]

Nach und nach enthüllt die Autorin, mit welchen Problemen die Patchworkfamilie zu kämpfen hat. Noel hat seine Tochter Verity in die Ehe eingebracht, Karen ihren etwa gleichaltrigen Sohn Ewan. Ihn hat Karen aufgegeben, er tut nichts anderes, als mit Freunden abzuhängen und zu kiffen. Karen richtet all ihre Energie auf Brontë, die gemeinsame Tochter mit Noel. Brontë ist zehn und ein Wunderkind, meint jedenfalls Karen. Sie hat die Kleine zu ihrem Projekt gemacht. Brontës Terminkalender lässt kaum Zeit zum Essen; sie spielt Klavier und Harfe, sie tanzt, zudem erwartet Karen schulische Glanzleistungen von ihr.

Verity liebt ihre Halbschwester. Brontë tut ihr leid; nie hat sie Zeit für sich, Karen lässt sie nicht aus den Augen, überlastet sie mit ihren Erwartungen. Der „Vorfall“ hatte mit Brontë zu tun: Verity hat Karen gewürgt, weil sie ihre kleine Schwester beschützen wollte.

Familienvater Noel geht Problemen gerne aus dem Weg. Er ist Arzt, die Hausbesuche bei den Patienten geben ihm gute Ausreden zu verschwinden und im Pub seinen Gedanken nachzuhängen. Er weiß, dass er etwas unternehmen sollte, um Karen zu stoppen, um Brontë eine unbekümmerte Kindheit zu ermöglichen, um Verity die Liebe zu geben, die sie verdient, um Stiefsohn Ewan aus der Lethargie zu reißen. Aber er schafft es nicht und lässt den Dingen ihren Lauf.

Eines Tages hat Brontë unerwartet ein wenig Freizeit: Der Klavierlehrer hat abgesagt. Verity nutzt die Gelegenheit und nimmt die Kleine mit in den Park zum Spielen. Dort lässt sie Brontë für ein paar Minuten mit anderen Kindern allein. Als sie zurückkommt, ist Brontë verschwunden. Die Polizei sucht ohne Erfolg. Karen ist außer sich. Bald darauf verschwindet sie selbst – und niemand außer ihren Eltern vermisst sie. Jeder aus der Familie hätte ein Motiv, ihr etwas anzutun; sie ist eine furchtbare Frau. Selbstherrlich, rücksichtslos, ungerecht.

Die Kapitel werden wechselnd aus der Sicht von Verity, Noel und der ermittelnden Polizistin erzählt; die Sicht von innen und von außen fügen sich gut zusammen.

Trotz haarsträubender Schilderungen, was Karen tut und wie sie es tut, bleibt die Figur merkwürdig blass. Sie will bei Brontë nicht dieselben Fehler machen wie bei Ewan, sie hat selbst einen sehr fordernden Vater – aber warum verfügt sie über keinerlei Empathie? Warum ist sie eigentlich mit Noel zusammen? Verity hingegen ist gut gelungen; die Figur ist lebendig, handelt nachvollziehbar. Ich hätte mir allerdings etwas mehr Tiefgang zur Stiefmutter-Thematik gewünscht.

Der Krimi-Anteil ist einigermaßen spannend, die Auflösung fand ich zwar etwas konstruiert, aber glaubwürdig. Alles in allem ein unterhaltsames Buch für zwischendurch.

Paula Daly: Stiefmutter.
Goldmann, März 2018.
448 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Ines Niederschuh.

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