Norbert Leithold: Herrliche Zeiten

norIn seinem 520-Seiten-Wälzer „Herrliche Zeiten“ begleitet Norbert Leithold die Berliner Familie Kypscholl vom Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bis zur Studentenrevolte Ende der 60er-Jahre.

Die Geschwister Otto und Anna dienen sich den Nazis an: Er raubt im Namen der SS Kunstwerke aus den besetzten Gebieten, sie arbeitet in einem Lebensborn-Heim, wo es darum geht, im Sinne des nationalsozialistischen Rassenwahns arisch reine Menschen zu züchten. Auch mit Euthanasie, also der Ermordung von Menschen, die die Nazis als nicht lebenswert erachten, hat sie am Rande zu tun.

Interessant ist, dass das Ende des Krieges für die Geschwister keineswegs ein Ende ihres Tuns oder ihrer Einstellungen bedeutet. Otto reist von Westberlin in die neu entstehende DDR, um die Menschen dort um ihre Antiquitäten zu erleichtern, Anna, die es in die Gegend von Stralsund verschlagen hat, tötet als Hebamme Neugeborene, wenn sie mit einer Behinderung auf die Welt kommen.

„Herrliche Zeiten“ ist vor allem für Leser mit historischem Interesse ein gutes Buch. Norbert Leithold, geboren 1957, Historiker und Verfasser von einigen geschichtlichen Sachbüchern, hat seinen Stoff hervorragend recherchiert. Zehn Jahre hat er an dem Buch gearbeitet, und diese Gründlichkeit merkt man dem Werk an.

Etwas weniger gut gelingt ihm die Charakterisierung der fast ausnahmslos negativ besetzten Figuren. Da hätte man sich zuweilen etwas mehr psychologische Tiefe gewünscht. Auch muss man sich an einige unnötige stilistische Schrulligkeiten gewöhnen – zum Beispiel dass wörtliche Rede nie als solche kenntlich gemacht wird und dass Szenen und Schauplätze mitunter arg übergangslos ineinanderfließen.

Auf den letzten gut 100 Seiten verlagert sich der Roman hin zu den Kindern von Otto und Anna, Karl und Regina. Im Grund fängt hier eine neue Geschichte an, die seltsam losgelöst vom Vorherigen daherkommt. Hätte der Autor auf sie verzichtet, wäre das Buch kaum schlechter geworden – vielleicht sogar im Gegenteil. Jetzt geht es um Karls Schwierigkeiten mit dem autoritären Vater und das ihm verhasste Leben in einem katholischen Internat, wo er von den Mitschülern drangsaliert wird, und um Regina, der in der DDR Steine in den Weg gelegt werden, weil sie keinen Antrag auf den Eintritt in die Partei gestellt hat.

Ein dickes, gut recherchiertes Buch, das viele Themen der jüngeren deutschen Geschichte anreißt – mit einigen kleineren Schwächen.

Norbert Leithold: Herrliche Zeiten.
DVA, März 2014.
528 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.

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