Der französische Soziologe und Schriftsteller Nicolas Mathieu (Jahrgang 1978) gewann 2018 mit seinem Roman „Wie später ihre Kinder“ den französischen Literaturpreis Prix Goncourt für den besten französisch-sprachigen Roman des Jahres. Jetzt liegt sein neuestes Buch vor. Am 20. Juli 2020 erschien „Rose Royal“ in einer Übersetzung von Lena Müller und André Hansen bei Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag.
Nicolas Mathieu hat mit „Rose Royal“ ein schmales Buch geschrieben. Aber ein wuchtiges. Seine Hauptfigur Rose ist knapp fünfzig Jahre alt und geschieden mit zwei erwachsenen Kindern. Sie arbeitet in einem Büro, sieht gut aus, hat schöne Beine und einen Revolver in der Handtasche. In der Kneipe „Royal“ trinkt sie ihre Feierabend-Biere, trifft ihre Freundin Marie-Jeanne und eines Abends auch Luc. Rose hat Erfahrungen mit Männern, gute und schlechte. Wobei die schlechten überwiegen und sie zum Kauf eines Revolvers bewegen. „Die Angst sollte die Seiten wechseln.“, so Roses Hoffnung.
Rose und Luc werden ein Paar: sie gehen aus, trinken und haben (unbefriedigenden) Sex, der eines Nachts dazu führt, dass Luc ausrastet. Und auch die Versöhnung in einem teuren Hotel scheitert tödlich.
Ich war gespannt auf das Buch, allein wegen dieser wunderschönen Frau auf dem Cover. Die Geschichte von Rose ist kurz und schmerzhaft. Nicolas Mathieu lässt kein Happy End zu. Schon bald entfalten seine Sätze eine bedrohliche und unheilvolle Wirkung. Von Seite zu Seite steigert er die unguten Vorahnungen bei seiner Protagonistin und bei mir als Lesende. Unterschwellig, wie nebenher lässt er die Dinge eskalieren. Und dann setzt Mathieu die Knalleffekte an die richtigen und dennoch überraschenden Stellen des Buches. Dabei spielen Gewalt, Alkohol und gekränkte männliche Eitelkeit eine große Rolle. Leicht lasse ich mich anfangs dazu verführen, die Schöne-Schwache-Frau- und die Böse-Starke-Mann-Schublade zu ziehen. Arme Rose, möchte ich rufen. Aber dies ist keine simple Gewalt-gegen-Frauen-Geschichte mit klar verteilten Geschlechter-rollen. Mathieu entzieht seine Hauptfiguren Rose und auch Luc diesen einfachen Interpretationen und Rollenbildern. Seine Zuschreibungen sind viel subtiler, eher unerwartet. Da ist zum einen der Sex: sind es sonst nicht die Männer, die sich von ihren Partnerinnen trennen, weil sie besseren und/oder mehr Sex wollen?
Und da ist der Revolver: verheißt er für Rose Sicherheit, wird er für Luc zur Bedrohung. Weiß er doch genau, dass Rose ihn auch benutzen wird. Das hat Rose Luc bei ihrer ersten Begegnung im „Royal“ eindrucksvoll bewiesen. Und am Ende kehrt genau dieser Revolver die Rollen um, und die Angst hat wirklich die Seiten gewechselt, wenn auch anders als von Rose gehofft.
Nicolas Mathieu: Rose Royal.
Hanser Berlin, Juli 2020.
96 Seiten, Gebundene Ausgabe, 18,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.
„65 Seiten“
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