Was das Leben nicht für Geschichten schreibt. Da verkaufen einen die eigenen Eltern, aus bitterer Armut versteht sich, an einen reichen Hafenmeister aus einer fernen Küstenstadt. Kaum dort angekommen – Roshan ist zu diesem Zeitpunkt noch keine zehn Jahre alt – kommt sie in den Harem, um ihrem Mann und Meister auch ja gefällig zu sein; – sprich, männlichen Nachwuchs zu zeugen. Wer immer sich weigert, verliert gerne einmal ein Auge, weibliche Babys werden entsorgt, so wie in brutal getötet. Zum Glück gibt es Kräuter, die Schwangerschaften verhindern – bis, ja bis sie ihren Dolch in den Hals ihres Gatten rammt und fliehen muss.
Sie schließt sich einem Erfinder als dessen Assistentin an, lernt es zu kämpfen und logisch zu denken, bis sie anno 824 in Kairo wegen Diebstahl verhaftet und ins Verlies gesteckt wird.
Ein Unbekannter, der kämpfen kann, wie ein Derwisch, befreit sie. Als Bezahlung darf sie mit einigen anderen zwielichtigen Zwangsverpflichteten auf der Seidenstraße eine mysteriöse Truhe stehlen – dass da dann nicht alles wie geplant läuft, war fast schon vorherzusehen …
Fast jeder, der sich auch nur rudimentär mit Fantasy in seinen Erscheinungsformen beschäftigt hat, dürfte dabei unweigerlich auf Assassin´s Creed gestoßen sein. Der Kampf der Aussassinen gegen die Templer ist ein Phänomen und begeistert Fans auf der ganzen Welt. Vorliegender Roman ist im entsprechenden Universum angesiedelt, setzt jedoch zeitlich weit früher an, als wir dies gemeinhin gewohnt sind.
Dies hat naturgemäß den Vorteil, das sich auch Leser, die sich im Merchandise nicht auskennen, in den Beschreibungen zurechtfinden, gilt es doch einer neuen Rekrutin in ihr erstes Abenteuer zu folgen.
Und Lewis macht es wirklich gut. Ja, sie erfindet das Rad nicht neu, aber sie überzeugt mit einer weiblichen Hauptfigur, die sich alles selbst erarbeiten muss, der wahrlich nichts geschenkt wird und einem orientalischen Setting, das eine prachtvolle Kulisse für den Plot bildet.
Fuzan, alias Kairo, Bagdad, Karatschi oder Täbris – unsere Erzählerin kommt herum und nimmt dabei aus all ihren Stationen Wissen und Fertigkeiten mit. Die Verfasserin präsentiert uns dabei den Orient nicht nur in all seiner Pracht, sondern auch in den regionalen Unterschieden. Das liest sich interessant, scheint gut recherchiert und wirkt damit glaubwürdig. Roshan ist eine Protagonistin, der wir gerne in ihre Abenteuer folgen, einfach, weil sie ihr Schicksal mutig in die eigene Hand nimmt und an Schicksalsschlägen wächst. Die spätere Meister-Assassinin entpuppt sich dabei als wissensdurstige Heranwachsende, die ihrem moralischen Kompass folgt. Dabei stellt die Autorin das packende, rasant aufgezogene Abenteuer ins Zentrum, große Tiefe oder vielschichtige Charakter-Zeichnungen gibt es nicht. Dies ist aber nicht wirklich schlimm, richtet sich der Roman doch in erster Linie an ein Publikum, das die Schöpfung kennt, sich, auch mittels gedruckter Seiten, farbenprächtig und spannend unterhalten lassen möchte – und das gelingt der Verfasserin bestens.
Maria Lewis: Assassin’s Creed – Mirage, die Tochter von niemandem
aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Helga Parmiter
Cross Cult Verlag, Mai 2024
316 Seiten, Taschenbuch, Euro 16,00
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.