Der norwegische Extremsportler Ken Stornes sieht das Besondere, nicht das Gewöhnliche. „Die Oberfläche des Normalen interessiert mich nicht. Für mich ist das Leben … wie das Skript eines fulminanten Kinofilms. Und ich bin die Hauptfigur darin.“ (S. 197)
Vielleicht hat er aus diesem Grund seiner Biografie den Titel Mein Leben als letzter Wikinger gegeben. Die Faszination der nordischen Mythen hat sein Onkel ihm schon in seiner Kindheit nahegebracht. Damals besuchte Ken seinen Onkel häufig, wenn dieser seine Schafherde hütete. In der Einsamkeit erzählte er ihm dann die unzähligen Geschichten von Helden und ihren Kämpfen. Heute kennt Ken Stornes zahlreiche Gleichgesinnte, die das Wikingerleben und deren Ideale zelebrieren. Sie alle bevorzugen ein archaisches Leben in der Natur und die Bewahrung alter Traditionen.
Bei der Lektüre finden sich zahlreiche Beispiele, warum der Autor sich an den überlieferten Tugenden verortet hat: Sie machen ihm Spaß: Er mag Kampfsportarten, mentalen und physischen Drill oder barfuß durch die Wälder zu rennen. Sein muskelbepackter, wendiger und ausdauernder Körper ist sein Tempel. Erst wenn er mal wieder eine extreme Herausforderung perfektioniert hat, ist er zufrieden. Was sein Körper alles zu leisten vermag, kann selbst einen trainierten Menschen in tiefes Erstaunen versetzen. Wer in Nordnorwegen an extreme Klimabedingungen gewöhnt ist, kann mit eisiger Kälte umgehen. Nachdem der Autor sich in einem zugefrorenen See ein Loch geschlagen hat, geht er auch bei minus 10 Grad Celsius für eine Weile ins Wasser. Dies dürfte nicht nur für Norweger eine schmerzhafte Mutprobe bedeuten.
Bei der Lektüre wird deutlich, wie die Liebe zur Natur Ken dem Dorfkind in die Wiege gelegt wurde, sein jahrzehntelanges hartes Training dagegen nicht. Indirekt kann man dies an den künstlerischen Fotos sehen, auf denen er meist oberkörperfrei in der scheinbar unberührten Natur zu sehen ist. Im Detail kann man sich – sofern noch nicht geschehen – seine Clips über Tricking oder Death Diving anschauen. Dass diese aus einer anderen Welt zu kommen scheinen, will man eher glauben als an den unfassbaren Fleiß beim körperlichen Drill. Auch dieser macht ihn glücklich, auch wenn er immer länger darauf warten muss. Denn das Problem der Endorphin-Freunde liegt in der Natur ihrer Trainingsprogramme. Je mehr man seine körperliche Belastung ausgedehnt hat, umso später schüttet der Körper das glücklich machende Hormon aus.
Durch die Co-Autorin Heidi Friedrich ist eine andere Erzählsprache entstanden. Ihre ureigene Handschrift bei der Wortwahl, dem Sprachrhythmus ist mit einer zweiten persönlichen Handschrift eine Symbiose eingegangen. Stellenweise springt die Vorliebe des Sportlers hervor. Der ruhige, stille Autor nutzt das Stilmittel der Wiederholung, um 100-prozentig verstanden zu werden. Sein Buch macht neugierig auf ein Phänomen, das weit jenseits der „Selbstoptimierung“ liegt. Vieles begreift man bekanntlich erst in dem Moment, wenn man selbst die eine oder andere Grenze des Machbaren überschritten hat. Ken Stornes scheint nur die altersbedingte Grenze zu akzeptieren.
Ken Stornes mit Heidi Friedrich: Mein Leben als letzter Wikinger: Wie ich zu maximaler Ausdauer, Mut und Entschlossenheit fand – Neun Tugenden aus einer vergangenen Zeit
Mosaik Verlag, April 2025
224 Seiten, Hardcover, Pappband mit ca. 40 farbigen Fotos, 22,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.