Mit Sister Europe legt Nell Zink einen ironisch gebrochenen Berlin-Roman vor, der eine einzige Nacht ins Zentrum rückt. Die amerikanische Autorin, die seit Jahrzehnten in Deutschland lebt, nutzt die Kulisse eines abgehalfterten Luxushotels und das nächtliche Berlin, um ein Gesellschaftspanorama zu entwerfen.
Handlung und Figuren
Im Mittelpunkt steht eine illustre Runde: Demian, ein deutscher Kunstkritiker, seine Trans-Tochter Nicole, der amerikanische Verleger Toto, eine desillusionierte Grande Dame, ein arabischer Prinz und weitere Figuren. Es bedarf einiger Konzentration, um immer gleich zu wissen, wer wer ist – Namen, Hintergründe und Beziehungen sind nicht immer sofort präsent. Anlass des Treffens ist ein literarischer Preis für einen arabischen Autor, doch schon bald löst sich die Gesellschaft von der offiziellen Gala und driftet durch das Berliner Nachtleben. Die Gespräche, die sich dabei entspinnen, sind mal voller Witz, Ironie und kluger Beobachtungen – mal aber auch weniger intellektuell, so wie im richtigen Leben.
Der Roman ist relativ handlungsarm. Die eigentliche Geschichte spielt sich vor allem in den Dialogen ab; äußere Ereignisse sind rar, die Nacht verläuft eher ruhig und unspektakulär. Wer eine spannende, vorwärtsdrängende Handlung erwartet, wird hier nicht fündig – Sister Europe lebt von den Gesprächen und der Dynamik zwischen den Charakteren. Es ist ein Roman, der sich an eine – wegen der vielen Querverweise durchaus gebildete – Leserschaft richtet, die sich an kleinen Nuancen des Zwischenmenschlichen erfreut.
Die Autorin versteht es, die Absurditäten menschlichen Verhaltens bloßzulegen, ohne ihre Figuren der Lächerlichkeit preiszugeben.
Thematisch kreist der Roman um Fragen von Klassenzugehörigkeit, Kultur, Identität und Verantwortung. Die Figuren leben in einer Blase der Privilegien, diskutieren über Literatur, Klimakrise und europäische Identität, doch spürbar ist vor allem ihre innere Leere und Orientierungslosigkeit.
Stärken und Schwächen
Die größte Stärke von Sister Europe liegt in der sprachlichen Raffinesse und der satirischen Zuspitzung. Zink gelingt es, gesellschaftliche Dynamiken und persönliche Krisen subtil zu verweben, ohne ins Moralisieren abzudriften.
Nell Zink: Sister Europe
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Tobias Schnettler
Rowohlt, Mai 2025
272 Seiten, gebundene Ausgabe, 24 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Andreas Schröter.