Joy Fielding: Die Besucherin

Linda ist weit über siebzig. Ihre beste – und einzige – Freundin Carol verliert sie gerade an die Demenz. Bei einem ihrer Besuche in der Klinik lernt sie die über neunzigjährige Jenny Cooper kennen, die sich mit den Worten vorstellt: „Ich bringe Menschen um.“ Nun ja, wir befinden uns auf einer Demenzstation, Linda zweifelt daran, ob Jenny überhaupt weiß, was sie da sagt. Aber wenige Tage später ist einer der Bewohner tot. Lindas Neugier ist geweckt und sie unterhält sich mehr und mehr mit dieser Jenny Cooper, obwohl es in ihrem eigenen Leben wirklich genug Drama gibt. Ihre jüngere Tochter wohnt mit ihrem Schwiegersohn wieder bei ihr und der ist nun wirklich niemand, auf den man sich verlassen kann. Der Mann ihrer dementen Freundin macht ihr Avancen und Linda denkt ernsthaft darüber nach – bis er sich auch als Weichei entpuppt.

„Die Besucherin“ ist leicht lesbar geschrieben und enthält auch eine gehörige Portion Humor, vor allem wenn Jenny spricht. Der Roman hat einen Krimianteil, der sich allerdings weniger darum dreht, wer es getan hat – das wissen wir ja von Anfang an: Jenny – als vielmehr darum, warum sie es getan hat, und wie oft. Der weitaus größere Anteil dreht sich aber darum, was das Altwerden mit sich bringt – ohne dabei jemals beschwerlich zu werden. Das beginnt schon mit Lindas Freundin Carol, die noch lebt, aber doch schon weg ist. Als Lindas Mann vor zwei Jahren starb, hat sich Lindas Leben verändert. Als ihre Tochter bei ihr einzog, hat sich ihr Leben verändert. Sie weiß, dass sie sich im Endspurt befindet und nimmt sich endlich Freiheiten, die sie früher nie gewagt hätte. Es geht also auch um das Altern in diesem Roman.

Ich mochte dieses Buch, obwohl die Spannung sich in Grenzen hält. Man ist nie ganz sicher, ob Jenny die Wahrheit sagt, ob sie sich nur hervortun will oder ob sie am Ende gar nicht mehr weiß, was sie sagt. Das bringt ein wenig Spannung in die Krimihandlung, obwohl das Ende leicht vorhersehbar ist, eigentlich von dem Moment an, wo der Schwiegersohn die Tochter das erste Mal kleinmacht. Die Geschichte ist strikt aus Lindas Sicht erzählt, der Leser weiß über Jenny also immer nur das, was sie Linda erzählt. Zwar ist Linda nicht wirklich eine geeignete Ermittlerin, aber für einen leichten Krimiplot hat es doch gereicht. Obwohl gerade die Halbwahrheiten und Einwürfe Jenny so spannend machen, hätte ich doch gerne mehr über sie erfahren. Ich meine, sie ist 93 und das einzige, wie sie sich selbst sieht, ist „Ich bringe Menschen um“. Das ist irgendwie traurig.

Joy Fielding: Die Besucherin
Aus dem englischen übersetzt von Kristian Lutze
Goldmann 12 /24
gebundenes Buch, 448 Seiten, 22,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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