Jan Snela: Ja, Schnecke, ja

Sie können sich nicht zwischen Lyrik und Belletristik entscheiden? Sie haben eine Schwäche für Japan und Haikus? Tiere und Wissenschaft finden Sie spannend? Bei einer Lektüre bevorzugen Sie Tiefgang statt Aktion? Dann ist dieser außergewöhnliche Roman genau das Richtige für Sie. Als Schnittstelle zwischen den Genres, beschreibt das Buch ein junges Paar, Tausende von Kilometern voneinander getrennt. Jeder für sich auf seine Weise damit beschäftigt, den eigenen Platz im Leben zu finden.

Amanda und Hannes zusammen – oder auch  nicht. Die junge Biologin ist nach Japan gezogen, um dort an der Frauenuniversität von Nara über eine außergewöhnliche Schneckenart zu forschen. Diese praktiziert eine äußerst extreme Art der „Selbstentleibung“. Während Salamander bei Gefahr beispielsweise nur ihren Schwanz abwerfen, köpft sich die Schnecke praktisch selbst. Der Kopf kriecht unbeirrt weiter, nach und nach bildet sich daran wieder ein vollständiger Körper.

Von Schnecken und Haikus
Selbstentleibt fühlen sich in gewisser Weise auch Amanda und Hannes. Wo ist ihr Platz im Leben? Amanda macht in der Fremde sowohl aufregende, als auch verstörende Erfahrungen, zwischen wilden Hirschen, Roboterhunden und Erdbeben. Sie ist genervt von Hannes ständigen Nachrichten. Dieser versucht, über die exzessive Lektüre japanischer Bücher und Dichter, weiterhin Teil von Amandas Leben zu bleiben. Hannes verlässt kaum noch das Haus, lässt sich alles per Lieferservice bringen. Die Gemüse- und Lebensmittelkisten werden von Hajo geliefert, der ein ausgeprägtes Interesse an Amandas Mäusepaar zeigt, das sie Hannes zur Obhut überlassen hat. Dabei vergräbt sich Hannes vor allem in die Geschichte des japanischen Haiku-Dichters Issa. Durch ihn versucht er zu verstehen, was er im Leben erwartet. Und warum Amanda ihn sowohl zurückgelassen, als auch der gemeinsamen Familienplanung eine Absage erteilt hat.

Originelle Prosa für Japanliebhaber
Der in München geborene Autor Jan Snela, Jahrgang 1980, lässt seine Protagonisten durch wundersame Parallelwelten straucheln, in denen Realität, Dichtung und Vorstellungskraft aufeinanderprallen. Jedes seiner Kapitel endet mit einem Haiku. Hier beweist der Gewinner des Open-Mike-Wettbewerbs sprachliches Geschick. Japanische Schriftzeichen und ihre Bedeutungsebenen sowie die kulturellen Besonderheiten der Insel dürften Asienliebhaber ebenso begeistern. Den großen Haiku-Dichter Kobayashi Issa hat es übrigens wirklich gegeben.

Originell, andersartig, ein Genrewandler – dieses Buch weicht ab von gewohnter Lesart. Neben Spielereien der Dichtkunst begeistern literarische Kniffe wie ein Paarungsakt von Mäusen, geschildet aus Sicht der kleinen Nagetiere. Wer sich an „herkömmlicher Literatur“ satt gelesen hat, wird von diesem originellen und witzigen Roman begeistert sein.

Jan Snela: Ja, Schnecke, ja.
Klett-Cotta, Februar 2025.
416 Seiten, gebundene Ausgabe, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..