Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord (1937)

In „Gentleman über Bord“ von Herbert Clyde Lewis ist der erfolgreiche Börsenmakler Henry Preston Standish aus New York bereits dreizehn Tage an Bord der Arabella, als ihm sein eigenes Missgeschick zum Verhängnis wird: Er rutscht auf einem Ölfleck aus und stürzt ins Meer. 

Da es noch recht früh am Tag ist und die anderen Passagiere sich noch alle in ihren Kabinen aufhalten, bemerkt niemand das Unglück. 

Wohl wissend, dass nur wenige andere Schiffe auf der Reiseroute zwischen Honolulu und Panama unterwegs sind, die ihn, den Schiffbrüchigen, bemerken könnten, bleibt Standish dennoch zuversichtlich und ist überzeugt davon, dass die Arabella auf ihrer Route bald kehrt machen würde, um nach ihm zu suchen. Während er sich auf dem Wasser von dem kaum merklichen Wellengang hin- und herschaukeln lässt, fühlt er sich sogar wohl und trotzt seinem Schicksal in erstaunlicher Weise. – Was Standish zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht weiß, ist, dass es noch viele Stunden dauern wird, bis sein Verschwinden überhaupt auffällt und er lange Zeit weder von den anderen acht  mitreisenden Passagieren, noch von den Besatzungsmitgliedern vermisst werden wird.

Er denkt an seine Frau Olivia und an die beiden gemeinsamen Kinder, die zu Hause in New York auf ihn warten. Olivia hatte viel Verständnis für ihn aufgebracht und war mit der Auszeit, die er sich mit dieser Reise genommen hat um seine Lebenskrise zu überwinden, einverstanden gewesen. Seine Gedanken wandern weiter zu den wenigen anderen Passagieren und zu den Besatzungsmitgliedern des Frachters. Mehr oder weniger kannten sie sich alle untereinander. Durch die unterschiedlichen Persönlichkeitsbilder, die wir so kennenlernen, erschließt sich wie nebenbei ein gesellschaftliches Porträt der amerikanischen Dreißigerjahre.

Optimistische Grundstimmung

Standishs optimistische Grundstimmung hält sich erstaunlich lange. Erst viel später wird er von Durst und Muskelkrämpfen geplagt. Wechselstimmungen zwischen Hoffnung und Panik, Euphorie, Wut und Angst machen sich in seinem Innern breit. Jetzt erst, in seinem existenziellen Kampf, wird ihm klar, wie kostbar das Leben ist.

Obwohl die Dramatik, in der Standish sich befindet, kaum zu übertreffen ist, lässt der Autor seinen Protagonisten als auktorialen Erzähler auf einer gedämpften, fast leicht anmutenden Gefühlsebene balancieren, wobei die Spannung immer im Hintergrund schwelt.

Ein kleiner, aber tiefgründiger Roman. 

Herbert Clyde Lewis (1909-1950) führte als Sportreporter in Newark, Berichterstatter in Shanghai und Drehbuchautor in Hollywood ein rastloses Leben. Er schrieb für den Mirror und das Time Magazine in New York und verfasste vier Romane, von denen „Gentleman über Bord“ bislang als einzigster ins Deutsche übersetzt wurde.

Herbert Clyde Lewis: Gentleman über Bord.
Aus dem Amerikanischen von Klaus Bonn.
Mit einem Nachwort von Jochen Schimmang.
Mare, März 2023.
176 Seiten, gebundene Ausgabe, 28,00 Euro. 

Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.

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