Helga Schubert: Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe

Die deutsche Psychologin und Schriftstellerin Helga Schubert (Jahrgang 1940) ist in Ost-Berlin geboren und aufgewachsen. Sie studierte an der Humboldt-Universität, arbeitete als Psychotherapeutin und schreibt. 2020 erhielt sie den Ingeborg-Bachmann-Preis für „Vom Aufstehen“. Sie ist mit dem Psychologen und Maler Johannes Helm verheiratet und lebt in Mecklenburg-Vorpommern. Am 16. März 2023 erschien ihr Buch „Der heutige Tag – Ein Stundenbuch der Liebe“ bei dtv.

Und um es gleich vorwegzunehmen: „Der heutige Tag“ ist ein beeindruckendes persönliches Buch. Helga Schubert erzählt darin von ihrer über sechzig Jahre alten Beziehung zu ihrem Mann, dem sie in dem Buch den Namen „Derden“ gibt:

„Ich nenne ihn Derden.

Ich habe den Namen gegoogelt. Es gibt ihn noch nicht.“ (S. 34)

Derden ist schwerkrank, pflegebedürftig und zunehmend dement. Helga Schubert pflegt ihn. Sie beschreibt die anstrengenden und zermürbenden Tage, die Unzulänglichkeiten der pflegerischen Unterstützung und die Einsamkeit ihres Alltags in der ländlichen Idylle. Und sie liebt ihn, davon zeugt auch der Untertitel des Buches, „Ein Stundenbuch der Liebe“. Die über achtzigjährige Schubert ist selbst eine alte Frau. Doch sie sieht sich vor große Aufgaben gestellt:

„Es geht nämlich um das Loslassen,

das Annehmen,

Es geht um das Friedenschließen,

das Einverstandensein,

um das nicht dauernd den andern, sich und das Leben Ändernwollen.“ (S. 36)

Diese lebenslangen Herausforderungen in einer Beziehung, Partnerschaft, Ehe sind gut formuliert. Und es sind diese Stellen im Text, die mich als Lesende dann doch bestätigen, das Buch zu lesen. Wollte ich es zunächst nicht: zu düster, zu morbid, zu traurig, das wollte ich mir nicht antun. Doch richtig, dass ich es mir anders überlegt habe. Ich wurde belohnt mit einer zutiefst warmherzigen und zuversichtlichen Erzählung über das Leben, die Liebe, das Alter und den Tod. Damit ist eigentlich schon alles gesagt, wären da nicht die beinahe 300 Buchseiten, in die es zu versinken gilt. Mit wunderbaren Sätzen, voller (Alters-) Weisheit und Demut.

Kein Kitsch, kein Geschwafel

Da ist kein Kitsch oder Geschwafel. In Schuberts Worten und Sätzen spiegelt sich ihr liebevoller, zugewandter Umgang mit einem todkranken, geliebten Menschen, der sich langsam aus der Welt verabschiedet. Aber auch die persönliche Überforderung, die Zweifel und die Unzufriedenheit fließen in den Text ein, Schubert ist eine selbstkritische Beobachterin. Tief beeindruckt, hoffe auch ich auf jemanden, der mich im Alter und im Sterben so einfühlsam und herzlich begleitet. Und bei dem Blick auf mich selbst als Lebens- und (möglicherweise) Sterbebegleiterin meines Partners wünsche ich mir ein bisschen von Helga Schuberts Stärke und Mut.

Das nur das Heute zählt, eine Amsel singt und welche Erleuchtung in einem Glas „Champignons, I. Wahl, in Scheiben, einfach lecker“  steckt, davon erzählt Helga Schubert in einmaliger, poetischer Weise. Wie passend dazu auf dem Schutzumschlag: der Ausschnitt aus dem Gemälde „Still Life on Balcony“ von Igor Moritz. Unbedingt lesenswert!

Helga Schubert: Der heutige Tag: Ein Stundenbuch der Liebe.
dtv, 16. März 2023.
272 Seiten, Hardcover, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Sürder.

Teilen Sie den Beitrag mit Ihren Freunden und Kontakten:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.