Hans Fallada: Der Alpdruck (1947)

fallKurz vor Kriegsende leben der Berliner Schriftsteller Dr. Doll und seine Frau wie Außenseiter in einem kleinen Ort. Als die Russen die Bewohner von der Naziherrschaft befreien, gehen die Drangsalierungen weiter, denn für die Russen ist jeder Deutscher ein verhasster Feind. Beim Aufbau der neuen Verwaltung wird ausgerechnet Doll zum Bürgermeister gemacht. Ihm obliegt unter anderem die Aufgabe, die heimlich angelegten Vorräte der ehemaligen Nazis zu konfiszieren. Mit Fleiß und Akribie geht Doll an seine Arbeit. Schließlich kennt er die Kriegsgewinnler und die Nazis viel zu gut. Mit Hilfe seines Amtes könnte Doll seinen persönlichen Rachefeldzug führen. Aber gleiches mit gleichem zu vergelten, liegt ihm nicht.
Trotzdem pflegen seine Landsleute ihren Hass gegenüber Doll. Sie wollen wie gewohnt für jede Leistung ihren Nutzen haben. Irgendwann hält Doll die Verlogenheit und die Gier der einflussreichen Bürger nicht mehr aus. Die Krankheit als Flucht vor dem Gemeinen hilft nur für eine Weile. Auch der Umzug zurück in die Berliner Wohnung hilft nur wenig. Hunger, Kälte und unwillkommene Mitbewohner in ihren verwahrlosten Räumen machen einen Neuanfang schwer. Das Recht des Stärkeren, des Skrupellosen, das im Krieg so gut funktioniert hat, lebt noch immer. Und wieder flüchten er und seine Frau in die Depression und Morphiumsucht. Der Kontakt zu seinem früheren Lektor entwickelt sich zu einem Zeitpunkt höchster Not als Glücksfall. Dolls Leben könnte nun erträglich werden.
Hans Fallada, unter dem Namen Rudolf Sitzen 1893 geboren und 1947 in Berlin gestorben, schrieb seinen Roman „Der Alpdruck“ kurz vor seinem Tod. 1947 erschien nicht nur „Der Alpdruck“ sondern ebenfalls sein berühmter Roman „Jeder stirbt für sich allein“.
In seinen Büchern steht stets der Einzelne im Vordergrund, der gegen die Übermacht von Behörden und gesellschaftlichen Normen ankämpft. Viele Details aus seinem Leben fließen in seine Geschichten ein, so dass diese nicht nur glaubwürdig sondern auch authentisch sind. Seine Gesellschaftskritik im Hinblick auf die Unterdrückung der Schwachen könnte man schnell als Schwarz-Weiß-Malerei bezeichnen. Betrachtet man sein Leben jedoch im Kontext zur Geschichte, die die hässlichen Seiten des Menschen nährte, dann hält Fallada dem Leser einen Spiegel vor die Nase. Sein Appell richtet sich an das Gewissen, die Menschlichkeit und Würde. In der Regel bestimmt das Raubtier im Menschen die Spielregeln, nach denen der Schwache lebt. Täter oder Opfer, schwarz oder weiß. Manchmal sind Falladas Grautöne schwer zu erkennen. Zu groß sind die Verletzungen. „… Doll sah in dieser nicht abreißenden Kette von Süchtigen und Leidensgefährten, Menschen genau wie er selbst, die unter der Last all der Erniedrigungen und Schamlosigkeiten zusammengebrochen und in künstliche Paradiese geflohen waren. Sie alle suchten … den „Kleinen Tod“ …“ (S. 154)
Falladas Schilderungen als Zeitzeuge sind nicht nur dramaturgisch sehr gut verpackt sondern auch spannend zu lesen. Und dies nicht nur, weil ähnliche Ereignisse ständig passieren. In der einen oder anderen Weise.

Hans Fallada: Der Alpdruck (1947).
Aufbau Verlag, November 2015.
285 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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