Gabriel Katz: Der Klavierspieler vom Gare du Nord

Pierre Geithner, Leiter des Fachbereichs Musik am Pariser Konservatorium, glaubt, seinen Ohren nicht zu trauen, als er auf dem Gare du Nord einen jungen Mann Klavierspielen hört. Technisch nicht perfekt, aber mitreißend, mit fliegenden Fingern und ohne Noten. Pierre ist begeistert, doch der junge Mann – Mathieu Malinski – blockt seine Kontaktaufnahme ab.

Mathieu, dessen Familie aus Polen stammt, lebt in einer Pariser Vorstadt und bringt alles mit, was man ganz klischeehaft erwarten kann: finanzielle Schwierigkeiten und einen (klein-) kriminellen Hintergrund. Doch er kümmert sich auch liebevoll um seinen kleinen Bruder, während seine Mutter im Krankenhaus Nachtschichten schiebt, um sich und die Kinder über Wasser zu halten, und hat einen Job als Gabelstaplerfahrer. Was Mathieu aus der Masse heraushebt, ist dieses ganz besondere musikalische Talent, das ein früherer Nachbar gefördert hat, das er aber so gut er kann geheim hält.

Als ein Einbruch mit seinen Kumpeln schiefgeht und Mathieu von der Polizei geschnappt wird, erinnert er sich an die Visitenkarte, die ihm Pierre zugesteckt hat und tatsächlich haut ihn dessen Anwalt raus und verschafft ihm statt eines Gefängnisaufenthaltes ein halbes Jahr Sozialstunden im Konservatorium. Pierre ist von Mathieus Potenzial überzeugt und organisiert für ihn Klavierunterricht bei der besten Lehrerin der Hochschule, um ihn auf einen renommierten Klavierwettbewerb vorzubereiten. Aber der junge Mann bleibt zunächst störrisch. Erst als er die Cello-Studentin Anna kennenlernt, rafft er sich auf, seine Chance zu ergreifen.

Damit stützt er auch Pierre, dessen Posten am Konservatorium wackelt und der privat in einer tiefen Krise steckt. Zwischen den beiden ungleichen Männern entwickelt sich eine Freundschaft, die beiden guttut. Doch immer wieder blockieren Hindernisse ihren Weg.

Die Geschichte vom unterprivilegierten, aber talentierten jungen Mann, der einen Förderer und Freund findet und vom Zusammenprall zweier sozialer Schichten, ist nicht neu, aber der Autor Gabriel Katz erzählt sie so einfühlsam und mitreißend, dass auch einige vorhersehbare Wendungen meinen Lesegenuss nicht geschmälert haben. Die Figuren haben Persönlichkeit, man nimmt ihnen ihr Verhalten ab, leidet und freut sich mit ihnen. Gleichzeitig wirkt der Roman auf mich wie ein modernes Großstadtmärchen, in dem sich Wünsche erfüllen, wenn man nur genug darum kämpft und nicht aufgibt.

Eine wichtige Rolle spielt die Musik, die die Menschen verbindet, egal woher sie kommen und wer sie sind. Um noch tiefer in das Buch eintauchen zu können, ist es empfehlenswert, sich die Stücke anzuhören, um die es geht. Und wer dann noch nicht genug hat, kann sich auch den Film „Der Klavierspieler vom Gare du Nord“ anschauen, der am 20. Juni in den Kinos angelaufen ist.

Gabriel Katz ist ein bewegendes Buch gelungen. Die Übersetzerinnen Anne Thomas und Eva Scharenberg haben es wunderbar ins Deutsche übertragen. Ich kann es allen wärmstens empfehlen, die zu träumen wagen und die Kraft von Musik und Freundschaft spüren wollen.

Gabriel Katz: Der Klavierspieler vom Gare du Nord.
Fischer, Juni 2019.
352 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.

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