Große Kriege haben Teile der Welt verwüstet. Neue Staaten haben sich gebildet, Gesellschaftssysteme wurden mit mehr oder weniger Gewalt umgekrempelt. Die technische Entwicklung ist vorangeschritten, Roboter übernehmen viele Tätigkeiten, die Nutzung digitaler Hilfsmittel ist Alltag – und dient häufig auch der Überwachung der Bevölkerung.
Dieses Umfeld bietet den Rahmen für Bina Shahs Roman „Die Geschichte der schweigenden Frauen“. Die pakistanische Autorin führt die Leserinnen und Leser nach Green City, der Hauptstadt Südwest-Asiens. Frauen sind dort aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen und eines Virus Mangelware. Das führt dazu, dass die übrig gebliebenen durch die Obrigkeit dazu verpflichtet werden, möglichst viele Kinder zu gebären. Dafür werden sie praktisch – meist mit mehreren Männern – zwangsverheiratet. Die Gattinnen werden gehegt und gepflegt, sind aber nahezu rechtlos und ans Haus gebunden. Freiheit ist für sie fast unerreichbar.
Ein paar Frauen verweigern sich diesem System und gehen in den Untergrund.
So wie Lin, Sabine und Rupa. Sie leben in der Panah, einem von Lins verstorbener Tante Ilona Serfati gegründeten Versteck. Doch auch sie sind nicht frei, sondern müssen ständig auf der Hut sein, um nicht in die Fänge der Obrigkeit zu gelangen.
Die Bewohnerinnen der Panah verdienen ihr Geld, indem sie heimlich eine Art Marktlücke bedienen: Sie geben mächtigen Männern das Gefühl von emotionaler Nähe und Geborgenheit, die diese bei ihren Gattinnen nicht bekommen. Als Joseph, einer von Sabines Kunden, sich mehr wünscht, gerät die Situation außer Kontrolle.
Bina Shah entwirft mit ihrer „Geschichte der schweigenden Frauen“ ein Zukunftsbild, das in Teilen gar nicht so weit von der heutigen Gesellschaft entfernt ist, was das Szenarium noch erschreckender macht. Dass Frauen in vielen Teilen unserer Welt noch weit von Gleichberechtigung entfernt sind, dass sie unter Gewalt und Unterdrückung leiden, ist kein Geheimnis. Die Digitalisierung hat schon heute Möglichkeiten, Menschen zu durchleuchten und auf Schritt und Tritt zu überwachen.
In Green City leiden aber auch die Männer. Zumindest die, die mehr vom Leben erwarten, als Kinder zu zeugen und ihrer Arbeit nachzugehen. Manche suchen Schlupflöcher, um einen Teil ihrer Freiheit zu bewahren oder wieder zu erlangen. Die Geschichte wirft nicht ihnen allein den Schwarzen Peter zu, sondern den patriarchalen Machtstrukturen, die sie aufgebaut haben und die viele von ihnen – vor allem die einflussreichen – gnadenlos ausnutzen. Doch es gibt auch Männer, die – angetrieben durch die Ereignisse – beginnen, die starren Regeln zu hinterfragen und zu verletzen.
Die Autorin erzählt die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven. Schwerpunktmäßig haben die Bewohnerinnen der Panah das Wort, aber ab und zu wird das Geschehen auch aus der Sicht eines Mannes geschildert. So ergibt sich ein rundes Bild einer Gesellschaft, in der eine autokratische Regierung mit ihren Mitteln Ordnung in das Chaos gebracht hat und behauptet, alles für das Wohl des Volkes zu tun, ohne auf den Willen oder die Bedürfnisse des Volkes zu hören.
Der „Geschichte der schweigenden Frauen“ liegt eine tragfähige, spannende Idee zugrunde, die Bina Shah in weiten Teilen des Romans beeindruckend und (in der deutschen Übersetzung durch Annette Charpentier) gut lesbar umgesetzt hat. Die Protagonistinnen sind starke, selbstbewusste Frauen, werden aber auch von Unsicherheiten geplagt und wirken deshalb lebendig und authentisch. Zum Ende hin verflacht der Text allerdings, die Handlung wirkt stellenweise überhastet, etwas klischeehaft und logische „Unebenheiten“ trüben den Lesegenuss ein wenig.
„Die Geschichte der schweigenden Frauen“ wird oft mit Margaret Atwoods „Der Report der Magd“ verglichen. In Ansätzen ist dies auch nachvollziehbar, doch nicht nur literarisch ist Margaret Atwood mit ihrem Buch ein Stück voraus. Dennoch ist Bina Shah eine größtenteils überzeugende Dystopie und ein sehr lesenswertes Buch gelungen, das ich gerne empfehle.
Bina Shah: Die Geschichte der schweigenden Frauen.
Golkonda Verlag, April 2019.
336 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.