Nichts wünscht sich Marie sehnlicher, als ein Freiwilliges Ökologisches Jahr auf Wilhelmswacht in der Seehundstation zu machen. Seit ein paar Wochen macht sie dort Praktikum und hat ihrer Familie in Cuxhaven den Rücken zugekehrt. Dann überschlagen sich die Ereignisse jedoch und Marie wird zur Rückkehr gezwungen. Mit dem Kutter, der zum Retten der Seehunde rausfährt, rammen sie ein 1951 gesunkenes Schiff und etwa zeitgleich hat Maries geliebte Oma in Cuxhaven einen Schlaganfall. Dass diese beiden Ereignisse viel mehr als nur der Zufall verbindet, wird Marie erst mit der Zeit klar. Sie begibt sich auf die Suche nach einem großen, stets verschwiegenen Geheimnis.
Elisabeth Herrmann führt in ihrem neusten Thriller für junge Erwachsene durch ein Abenteuer, das bereits 1951 begann. In diesem Jahr ist die Trinity auf ihrem Weg von New York nach Hamburg an einer gefährlichen Küste in der Nähe von Wilhelmswacht gesunken. Es handelt sich um rein fiktive Geschehnisse, die allerdings so gut erzählt sind, dass sie real wirken. Überhaupt scheinen die Figuren, allen voran Protagonistin Marie, wie aus dem Leben gegriffen. Die junge Frau hat nach dem Verschwinden ihres Vaters nur noch ihre Mutter und die Großmutter väterlicherseits. Als ein neuer Mann ins Leben ihrer Mutter Viola tritt, stellt der sie auch noch ausgerechnet vor die Wahl zwischen ihrer Liebe und der Tochter. Dass der Freigeist Viola sich für ihren neuen Partner Magnus entscheidet, trifft Marie schwer. Sie kehrt den Resten ihrer Familie den Rücken, um auf Wilhelmswacht neu zu starten. Das schwierige Verhältnis zwischen Marie und Viola prägt die Stimmung im Roman ebenso wie das innige Vertrauen zwischen Großmutter Clara und Marie. Diese jedoch hat jahrelang ein Geheimnis gewahrt und sich niemals ihrer Familie geöffnet.
„Seefeuer“ ist nicht immer das blühende Leben mit superspannenden Szenen. Aber sie überwiegen, auch wenn der Roman manchmal in seiner Handlung viele Seiten nicht vorankommt. Darüber tröstet die Autorin unter anderem mit ihrer gewohnt hochwertigen und interessanten Schreibweise hinweg. Wer die bisherigen Jugendromane von Elisabeth Herrmann mochte, ist auch mit „Seefeuer“ gut bedient. Marie tritt in diesem Roman als selbstbewusste junge Frau auf, die schon früh Verantwortung übernehmen musste – und zwar für die eigene Mutter. Denn Viola hat lieber Bilder von immer gleichen Lavendelfeldern gemalt, statt sich um die Kindererziehung zu kümmern. Der Verlust des Vaters markiert für beide, Marie und Viola, einen Wandel. Marie musste sich ab diesem Zeitpunkt um alles selbst kümmern, Viola verschwand gänzlich hinter ihren Staffeleien.
Sehr gute Lektüre, nicht immer spannend, aber überwiegend toll erzählt und interessant gemacht!
Elisabeth Herrmann: Seefeuer.
cbt, Juni 2014.
416 Seiten, Taschenbuch, 14,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.