David Safier: Miss Merkel: Mord auf hoher See

Ich hab was vermisst. Eigentlich müsste, finde ich, spätestens im Nachwort, wenn nicht schon gleich zu Anfang, heißen: Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen – Politikerinnen und Politikern, Autorinnen und Autoren, anderen Menschen des öffentlichen Lebens oder Geschehnissen der jüngeren Geschichte – sind absolut gewollt und hoffentlich unverkennbar!

Es macht unheimlich Spaß, diesen subtilen Humor zu genießen, mit dem Safier seine Miss Merkel immer wieder Vergleiche ziehen lässt zu Begegnungen mit hochrangigen Politikern, Menschen aus Wirtschaft, Kultur, Sport oder einfach nur Menschen, die zu irgendeiner Zeit in irgendeinem Bereich eine gewisse Macht, das nötige Geld oder Einfluss hatten oder vielleicht auch noch haben. Die aktuellen Ereignisse der Weltpolitik werden zwischen den Zeilen kommentiert auf eine Weise, die man sich bei der Ex-Kanzlerin, auch wenn man sie wahrscheinlich nicht persönlich gut kennt, gut vorstellen kann.

Wer gerne Krimis liest, erkennt natürlich sofort die Ähnlichkeiten mit bekannten Krimi-Autoren, auf die hier angespielt wird, herrlich auch, wenn Miss Merkel nach einem Gespräch mit dem späteren Mordopfer reflektiert: „Anscheinend hatte sie Watzek falsch eingeschätzt. Er wollte seinen Lesern von Herzen eine gute Zeit bereiten. Er war also durchaus höher anzusiedeln als dieser Safier, der die Frechheit besessen hatte, Angela höchstselbst zu einer Romanfigur zu machen: 00 Miss Merkel. Geheimagentin mit Herz.“
Die Rente hat sich Miss Merkel eigentlich ein bisschen anders vorgestellt, immerhin ist sie mit ihrem „Puffel“, wie sie ihren Mann liebevoll nennt, in ein kleines, beschauliches Dorf in der Uckermark gezogen, um dem Rummel Berlins oder anderer Großstädte zu entfliehen. Sie wollte in Ruhe und mit der nötigen Muße „ihren“ Shakespeare genießen, Puffel seiner Leidenschaft für Scrabble frönen und englische Songtexte verstehen lernen … Doch daraus wurde schon sehr bald nach ihrem Umzug nichts.

Miss Merkel entdeckte ganz neue Leidenschaften – sie „muss“ sich als Hobbyermittlerin betätigen und macht das echt erfolgreich und auf eine sehr logisch durchdachte Weise. Klar, was soll man sonst von einer Physikerin mit jahrzehntelanger Politerfahrung auf verschiedenen Ebenen und den entsprechenden Fallen und Finessen auch sonst erwarten? Zwei Fälle hat sie mittlerweilesouverän gelöst, sehr zum Missfallen des eher desinteressierten und wohl auch wenig begabten Kommissars vor Ort, der allerdings nichts destotrotz die Lorbeeren für sich einheimst. Fairerweise muss man zugeben, dass Miss Merkel sie ihm auch ganz gerne überlässt, weil sie den Presserummel vermeiden möchte, der unweigerlich aufkäme, wenn man sie als erfolgreiche Ermittlerin erkennen würde. Dem Ermitteln will sie aber eigentlich abschwören und lieber ihre Zeit nutzen, selbst Krimis zu schreiben. Eine Idee hat sie schon, eine Figur ihres Ermittlers schwebt ihr auch schon vor, aber sie will mehr über das Handwerkliche erfahren.

Deshalb hat sie mit ihrem Mann, mit  Mike, ihrem wunderbar dargestellten Personenschützer, der manchmal schier an ihr verzweifelt, dessen Freundin Marie + Kind und dem Mops Pupsi – er wurde von Putin in Pupsi umbenannt wegen des Konflikts in der Ukraine – eine Ostsee-Krimi-Kreuzfahrt gebucht. Miss Merkel will von den Besten lernen und auf dem Schiff Seminare besuchen. Dumm nur, dass ausgerechnet der erfolgreichste unter den anwesenden Autoren beim ersten seiner geplanten Vorträge sehr plakativ ums Leben kommt. Sieht aus wie ein entsetzlicher Unfall. Miss Merkel kann nicht anders, sie muss das aufklären. Herrlich, wie Safier seine Miss Merkel wieder einmal kühl und sachlich, mit logischem Denken und der ein oder anderen Finte an den Fall herangehen lässt. Dass sie sich selbst auch wieder in Gefahr begibt, ist zu erwarten, dass Mike wieder mal verzweifelt und Puffel sie nachsichtig unterstützt, ist amüsant zu lesen.

Ermitteln mit den Mitteln erfolgreicher Politdenke und -erfahrung! Safier muss sich bestens auskennen, um seine Miss Merkel so authentisch darstellen zu können und auch den Bezug zur aktuellen und vor Kurzem gewesenen internationalen Politik immer wieder herzustellen. Es ist sicher eine Gratwanderung, die Ex-Kanzlerin zur Romanfigur zu machen, ohne sie zu beleidigen oder herabzuwürdigen. Safier schafft es. Nachdem Miss Merkel den Mord – oder besser: die Morde – auf hoher See wieder einmal bravourös aufgeklärt und erkannt hat, dass das mit dem Schreiben für sie vielleicht doch nicht so eine tolle Idee ist, ihr Talent wohl doch eher im Ermitteln und logischen Denken liegt, wird es sicherlich noch weitere Fälle geben, in denen die Ex-Kanzlerin und ihr Team ihr Können und ihre gegenseitige Freundschaft oder Liebe, denn darum geht es ganz nebenbei auch, unter Beweis zu stellen. Hoffentlich.

David Safier: Miss Merkel: Mord auf hoher See
Kindler, Dezember 2023
318 Seiten, Taschenbuch 18,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.

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