Auch diesmal wieder gelingt es Anne Stern, ein Stück Zeitgeschichte in einen spannenden Roman zu verpacken und einem nicht das Gefühl zu geben, dass man grade eine Geschichtsstunde erlebt. Hervorragend recherchiert, fundiert und kompetent erzählt, fesselnd geschrieben. Die Personen sind denen, die die Reihe um „Hulda Gold – die Hebamme von Berlin“ kennen und verfolgen, gut bekannt, immerhin ist „Der Preis der Freiheit“ bereits der achte Band der Serie.
Wir schreiben das Jahr 1932. Die politischen Kräfte in Deutschland radikalisieren sich immer stärker, die Nationalsozialisten sind immer präsenter, tätliche Gewalt und völlig unvermittelte Angriffe werden immer häufiger. Auch Hulda kann davor die Augen nicht verschließen. Auch ihre Freunde, ihre Familie bleiben nicht verschont. Ihr Vater, der Künstler Benjamin Gold wird ebenso überfallen wie ihr Freund vom Kiosk auf dem Winterfeldtplatz Bert, der nachts, gemeinsam mit seinem Freund zusammengeschlagen wird. Der Hass auf Juden und Homosexuelle, auf alles „Andersartige“ wird immer offenkundiger.
Auch Max Dessauer, mit dem Hulda inzwischen verheiratet ist, hat als Dozent an der Hochschule immer häufiger mit Anfeindungen zu kämpfen. Es kommt so weit, dass er überlegt, mit seiner Familie aus Berlin weg zu ziehen und ein Angebot an der Universität in Göteborg anzunehmen, wo er als Jude keinen Anfeindungen ausgesetzt wäre. Doch Hulda kann sich das – noch – nicht vorstellen. Sie hat gerade eine neue Stelle angetreten. Im Gefängnis an der Barnimstraße betreut sie schwangere Frauen und versteht es, ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihnen aufzubauen. So ist es nicht verwunderlich, dass es sie nicht kalt lässt, als die junge Anna Marwitz verdächtigt wird, ihre Mit-Insassin vergiftet zu haben.
Der Verdacht liegt nahe, immerhin ist Anna wegen Giftmordes verurteilt worden. Ausgerechnet Kommissarin Siegel, die bisher nicht unbedingt Huldas Freundin genannt werden konnte, ist mit der Aufklärung des Falles betraut. Was zunächst offensichtlich scheint, wird durch Huldas Recherchen und Gespräche mit der Verdächtigen bald in Zweifel gezogen. Nach und nach stellt sich heraus, dass die naive Anna sich aus vermeintlicher Liebe hat einspannen lassen, einem Gast im Hotel, in dem sie gearbeitet hat, ein vergiftetes Getränk zu servieren. Ihr angeblicher Freund hat sie eiskalt ins Messer laufen lassen und rührt keinen Finger für sie. Doch Hulda und die Kommissarin nehmen den Kampf auf gegen das Unrecht, das Frauen immer wieder angetan wird. Ihre Zusammenarbeit zeigt, dass gemeinsamer Widerstand gegen das Unrecht möglich ist und erfolgreich sein kann.
Hulda hat auch diesmal wieder an vielen Fronten zu kämpfen. Ihre kleine Tochter ist gerade eingeschult worden, sie muss weiterhin den Spagat zwischen Beruf und Familie hinbekommen, was in einer Zeit, in der die äußeren Umstände nicht gerade einfacher werden, nicht leicht ist. Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Mutterschaft, persönliche Freiheit, Widerstand und Überleben in einer äußerst schwierigen Zeit, das sind die Themen, die hier objektiv, sachlich, aber auch berührend und emotional angesprochen werden. Historische Fakten, fiktive, authentisch dargestellte Charaktere, auf fesselnde Weise verwoben.
Anne Stern: Fräulein Gold: Der Preis der Freiheit
Rowohlt, November 2025
432 Seiten, Paperback, 18,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Ertz.
