Vier junge Leute treffen sich Anfang der 1990er-Jahre am Konservatorium in San Francisco und beschließen, ein Kammermusik-Quartett zu gründen. Zunächst verbindet sie nur die Musik, die sie zusammen machen, denn ihre Herkunft, ihre persönliche Geschichte, ihre Ziele und ihr Talent könnten kaum unterschiedlicher sein.
Da ist zunächst Jana, die die erste Geige spielt und sich auch so benimmt. Sie gibt den Ton an und das Tempo vor. Ehrgeizig und zielorientiert verfolgt sie ihren großen Plan, berühmt und erfolgreich zu werden. Das Privatleben ist nicht von Bedeutung. Mit ihrer Mutter, einer erfolglosen Schauspielerin, die sich mit verschiedenen Jobs über Wasser hält, sich vor allem für sich selbst interessiert und gerne mal einen über den Durst trinkt, hat sie nur sporadisch Kontakt.
Ihr emotionaler Anker ist Henry, der Jüngste des Quartetts. In ihm sieht sie den Bruder, den sie nie hatte. Henry, der Bratschist des Ensembles, ist ein begnadetes Talent, der auch als Solist Karriere machen könnte. An Angeboten dafür fehlt es ihm nicht. Alles scheint ihm in den Schoß zu fallen. Selbst seine Familie ist ein Traum. Reich, liebevoll und immer da, wenn er sie braucht.
Vor allem Daniel, der Cellist, beneidet ihn darum. Seine Eltern sind verheiratet, kümmern sich aber weder umeinander noch um ihren Sohn. Sie haben nichts dagegen, wenn er erfolgreich ist, aber muss es unbedingt klassische Musik sein? Mit Geld können sie Daniel während des Studiums nicht zur Seite stehen, das muss er sich selbst beschaffen, aber seine Mutter betet wenigstens für ihn. Auch die Begabung ist Daniel nicht in die Wiege gelegt. Er muss von den vier Musikern am härtesten arbeiten, um das benötigte Niveau zu erreichen. Mit Disziplin, Ordnung und penibler Kleinarbeit bahnt er sich seinen Weg.
Brit fühlt sich von Anfang an zu Daniel hingezogen. Sie sehnt sich nach einer Familie. Nachdem sie ihre Eltern verloren hat, zehrt sie zwar noch von ihrer glücklichen Kindheit, fragt sich aber auch, ob das „märchenhafte“ Bild von der Liebe, das ihr Vater und ihre Mutter ihr mitgegeben haben, für sie wahr werden kann. Sie ist auf Harmonie bedacht und schwingt als zweite Geige zwar leise, aber unverzichtbar im Hintergrund mit – im Leben wie im Ensemble.
Aja Gabel verfolgt in ihrem Roman „Das Ensemble“ den Weg von Jana, Brit, Henry und Daniel über fast 20 Jahre: wie sie zusammenwachsen, im Leben auseinanderdriften, sich in der Musik wieder finden, ihre Freundschaft und Abhängigkeit, ihre Erfolge und Misserfolge, ihr gegenseitiges Vertrauen und blindes Verstehen, ihre Zerwürfnisse und ihre gnadenlose Kritik. Das Quartett ist eine Lebensgemeinschaft der besonderen Art. Man braucht die anderen, um vollständig zu sein, teilt einerseits intime Momente, ist sich aber dennoch in manchen Situationen fremd.
Die Autorin erzählt die Geschichte abwechselnd aus Janas, Brits, Henrys und Daniels Perspektive. So kann man tief in die Charaktere, ihre Gedanken- und Gefühlswelt eintauchen. Man muss kein Musikexperte sein, um die Geschichte über diese ganz besondere Beziehung zu verstehen, aber man kann dieses Buch sicher besser genießen, wenn einem die klassische Musik nicht ganz fremd ist. Aja Gabel hat selbst zunächst eine Karriere als Cellistin angestrebt und bringt hier gekonnt ihr „Insider-Wissen“ ein. Im Internet gibt es auch die Möglichkeit, einige der Musikstücke anzuhören, denen sich das Quartett im Laufe seines Bestehens annimmt.
Mir persönlich erforschen die Figuren an manchen Stellen zu sehr ihr Inneres, grübeln und sinnen nach, ohne dass außen etwas passiert. Auch wenn es in ausgedehnten Rückblenden in die Vergangenheit geht, hätte ich mir eine straffere Erzählweise gewünscht. Ich mag in Geschichten (wie in der Musik) ausgeprägte Tempo- und Rhythmuswechsel und eine abwechslungsreiche Melodie. Aja Gabel webt in „Das Ensemble“ eher einen getragenen Klangteppich, auf dem man mitschweben kann, der mich aber nicht immer mitgenommen hat.
Dennoch habe ich das Buch gerne gelesen und kann es allen empfehlen, die sich in der klassischen Musik zuhause fühlen und schon immer wissen wollten, wie ein Ensemble tickt oder die eine gefühlvolle Hymne an die Freundschaft lesen wollen.
Aja Gabel: Das Ensemble.
Piper, Februar 2020.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.