Anne Freytag: Das Gegenteil von Hasen

„Er trägt ein Hasenherz im Wolfspelz. […] Ich wäre gern besser als das. Aber ich bin es nicht. Ich bin ein Hase unter Wölfen, der rennt und Haken schlägt.“ (Kapitel 1382-2)

Marlene und Leonard, Zwillinge und unzertrennlich, gehören mit ihrer besten Freundin Julia zu den beliebten Jugendlichen der Jahrgangsstufe. Einen Knick bekommt ihre Freundschaft, als Leonard und Julia vor ein paar Wochen ein Paar werden. Doch scheinbar sind sie immer noch beliebt und zu dritt unterwegs. Dann verliert die 17-jährige Julia ihren Laptop und mit ihm viele sensible Daten. Sie hat einen Blog geführt, in dem sie Einträge über sich und ihre Mitschüler geschrieben hat. Schonungslos, ehrlich, direkt. Keine Lügen mehr, sondern nichts als die Wahrheit. Als nun der Laptop verloren geht, tauchen wenig später eben diese Einträge öffentlich im Netz auf. Alle Schüler, Lehrer und die Eltern können Julias persönliche Gedanken lesen. Der tägliche Schulbesuch wird zum Spießroutenlauf!

Schonungslos, ehrlich, direkt. So könnte man auch den kompletten Roman beschreiben. Ich halte ihn für Anne Freytags direktestes Werk. Hier wird nichts schöngeredet und alles auf den Punkt gebracht. Julia gehört durch ihre Freundschaft zu den Zwillingen auf die Seite der beliebten Jugendlichen. Sie mobben sich fröhlich durch ihren Alltag, grenzen andere aus, die nicht ins klassische Bild passen. So etwa die gleichaltrige Linda, die einmal stark übergewichtig war, nun aber abgenommen hat. Dass sie sich offen als bisexuell geoutet hat, macht ihr Leben nicht gerade leichter. Genau diese Kids suchen sich Leonard, Marlene und Julia heraus und drangsalieren sie seit Jahren mit Worten und Taten. Doch jetzt schlägt einer von ihnen zurück. Julias Laptop ist verschwunden, ihre geheimsten Blogeinträge werden öffentlich. Damit stößt sie unwillentlich alle vor den Kopf und wird bloßgestellt, da auch viele ihrer sexuellen Gedanken an die Öffentlichkeit gelangen.

Unter Lehrern, Eltern und Schülern sowie der Polizei beginnt die Jagd nach demjenigen, der die Einträge ins Internet stellt. Dabei rücken auch diejenigen ins Visier, die selbst in den Einträgen genannt werden. Darunter auch Marlene, Leonard, Linda und Edgar, ein Außenseiter, der heimlich in Julia verliebt ist. Anne Freytag gelingt es, gleichzeitig Spannung aufzubauen und den Nerv von Jugendlichen zu treffen. Denn die sind oft gnadenlos, wenn jemand nicht ins Bild passt. Und das ohne Nachzudenken. Dabei verliert die Autorin die einzelnen Figuren nicht aus dem Blick und findet für jede von ihnen treffende Worte. So gelingt es ihr, ein Rundumbild der Situation zu schaffen, in dem Mobber und Gemobbte gleichermaßen ihren Platz haben.

Ein sehr guter, lesenswerter Roman!

Anne Freytag: Das Gegenteil von Hasen.
Heyne, Mai 2020.
416 Seiten, Gebundene Ausgabe, 17,00Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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Ein Kommentar zu “Anne Freytag: Das Gegenteil von Hasen

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