Andreas Eschbach: NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Helene glaubt, nicht viele Talente zu haben. Aber Programmieren, oder „Programme stricken“, das kann sie, auch wenn die neuartigen Komputer (sic!) sich im Deutschen Reich erst in den Anfängen durchgesetzt haben. Eugen dagegen ist von sich schon überzeugt, der Vater ist im Weltkrieg als Kriegsheld gefallen, die Mutter übergroß. Beide arbeiten bei der NSA, dem Nationalen Sicherheits Amt und ihre Aufgabe besteht darin, die Unmenge von Daten, die es über jeden Staatsbürger gibt, auszuwerten.

Es ist eine alternative Welt, die Andreas Eschbach für seine Roman geschaffen hat. Aber er hat sie derart mit historischen Realitäten durchsetzt, dass das Buch den Leser verstört zurücklässt. Deutschland hat den Weltkrieg 1917 verloren, die Nazis sind 1933 an die Macht gekommen, Nürnberger Gesetze, Wannseekonferenz, alles eingebettet in eine Welt, in der Soziale Medien und Elektronisierung einfach einige Jahre früher gekommen sind. Es gibt ja viele Romane über die Gefahren der Datenausnutzung, wir werden jeden Tag davor gewarnt, zuviel von uns preiszugeben. Aber was wäre wenn … die Nazis diese Technologie bereits gehabt hätten? Das Gedankenspiel ist ebenso bestechend wie beklemmend. Denn es handelt sich nicht um eine rein fiktionale Welt, irgendwo in der Zukunft, sondern um eine Welt, deren Schrecken uns allen wohlbekannt sein sollten (nebenbei glaube ich auch nicht, dass die Abkürzung NSA hier reiner Zufall ist), eine Welt also, von der nicht wenige im Augenblick fürchten, dass sie wieder vor der Tür steht.

Wir wissen also im Prinzip, wonach die Nazis gesucht haben und Eschbach führt uns vor, wie viel einfacher es mit heutiger Technologie wäre, das auch zu finden – und zwar mit Daten, die wir alle heute von uns preisgeben. Es geht nicht etwa (nur) um die Auswertung von regimeuntreuen E-Mails oder Foreneinträgen (so blöd ist nach der Machtergreifung schließlich keiner mehr, aber das Weltnetz vergisst nichts).  Dabei hält der Autor sich stringent an die Vorstellungen der Zeit, was die Lektüre nur noch unheildrohender macht. Mit Helen und Eugen hat er zwei völlig unterschiedliche Protagonisten geschaffen, die beide mit Nationalsozialismus und Judenhass nichts im Sinn haben. Es sind mal wieder die Umstände. Den das NSA stammt noch aus der Kaiserzeit und läuft stetig Gefahr, von Weimar nach Berlin in die Gestapo-Organe eingegliedert zu werden und damit die Unabhängigkeit zu verlieren. Das will dort natürlich niemand und deswegen laufen Analysten und Programmierer zu kreativen Höchstleistungen auf, ums ich möglichst als unentbehrlich darzustellen. Tja, und dazu liefert das Amt dann halt die Daten, die die Nazis am nötigsten haben wollen. Wie stöbert man Verstecke auf? Über den Stromverbrauch, über Lebensmittelkäufe, die Franks in Amsterdam werden über den Grundriss des Hauses ihres Verstecks gefunden, 1942, knapp einen Monat nachdem Anne ihr Tagebuch begonnen hatte, nicht erst 1944, wie in der Realität. Eschbach flicht immer wieder Ereignisse und Personen ein, die wirklich jeder kennt, man muss also kein Historiker sein, um es zu verstehen.

Andreas Eschbach spielt mit dem „Was wäre wenn…“ Ebenso wie mit den menschlichen Unzulänglichkeiten. Und er stützt sich dabei auf die eher moderne Erkenntnis, dass es nicht etwa böse Menschen waren, die die 12 Jahre zwischen 33 und 45 möglich gemacht haben, sondern in ganz großem Anteil einfach … Umstände. Und nein, es endet nicht gut. Glücklicher Zufall für den Autor oder einfach gute Recherche, dass er damit auch noch einen modernen Nerv trifft: die Rolle der ProgamiererINNEN in den Anfangen der Datenauswertung, die aktuell auch in erfolgreichen Filmen und Serien thematisiert wird.

Ein wichtiges Buch, nebenbei auch noch ein echter Pageturner, das den Schrecken, der allen bekannt ist, mit den Möglichkeiten verbindet, die die wilde Datensammelei bietet. Danach möchte man sein Handy wegschmeißen.

Andreas Eschbach: NSA – Nationales Sicherheits-Amt.
Bastei Lübbe, September 2018.
800 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,90 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Regina Lindemann.

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