Miles Cameron: Artifact Space

Zwar stammt sie aus einer Patrizierfamilie, doch so wirklich viel hat Marca Nbaro diese Tatsache in ihrem jungen Leben bislang nicht gebracht. Nachdem ihre Eltern, zusammen mit den meisten Verwandten, bei einem Piratenüberfall ermordet wurden, hat der DMK sie in ein Waisenhaus gegeben. Eigentlich sind diese dafür da, den Nachwuchs für die Handelsmarine heranzuziehen, de facto aber streicht die Familie, die über die Waisenhäuser wacht, das Geld ein und verkauft die jungen Menschen in die Sklaverei.

Doch nicht mit Nbaro – zwar sorgt der Leiter des Hauses dafür, dass sie die Prüfung versiebt, die Fähigkeiten eines Hackers verdankt sie es dann, dass sie sich dennoch als Fähnrich an Bord der Athen, einem der wenigen, alten Riesenschiffe wiederfindet. Nur diese haben die technische Fähigkeit derartige Distanzen zu überwinden, um in Tradepoint, dem einzigen Außen- und Handelsposten das mehr als lukrativen Geschäft mit den Aliens und deren Xenoglas abzuwickeln.

Dass just bevor die Athen ihre Reise antritt, zwei der verbliebenen Großschiffe vernichtet werden, lässt ahnen, dass irgendetwas vorgeht.

Nbara nimmt ihren Dienst auf, wird bald in die gefährlichen Kämpfe verwickelt und lernt weit mehr, als einem Fähnlein, wie die Fähnriche liebevoll genannt werden, eigentlich zusteht. Zusammen mit ihren Freunden und Vorgesetzten kommt sie einer Verschwörung auf die Schliche, hinter der eine weitere, bislang unbekannte Alienrasse steckt. Eine Macht, die das Ziel hat, die Athen, deren Besatzung und den Handelsposten zu vernichten. Da aber kommt Nbara ins Spiel – eine junge Frau mit eisernem Willen, jede Menge Mut und Einfallsreichtum und einer Mission – die Athen zu retten, koste es, was es wolle …

Ich ziehe jetzt einmal meine Wertung vorweg – James Corey muss sich warm anziehen, der Auftakt einer projektierten Trilogie hat das Zeug, der Rosinante den Rang abzulaufen. Man könnte kurz und knackig zusammenfassen – so muss Space Opera heute gehen!

Einmal keine Militärmaschine, sondern ein bewaffneter Handelsfrachter und seine Crew stehen im Zentrum des Geschehens. Erzählt wird uns die Geschichte durch eine junge Frau, die im Verlauf der Geschehnisse so manche Überzeugungen und Annahmen über Bord werfen muss, sich verändern und anpassen darf und soll und dabei auch immer wieder aneckt. Ihre Zimmergenossin, eine ebenso jungen Frau aus bester, sprich reicher Familie, dient dabei zu Beginn als Kontrast.

Wir verfolgen ihren kometenhaften Aufstieg an Bord mit – natürlich komplett unrealistisch, aber erfrischend tempo- und abwechslungsreich aufgezogen – die Ausbildung, die sie mit fliegenden Fahnen durchläuft, ihre ersten Abenteuer und eine langsam erblühende Zuneigung zu einem weltfremden, fast autistischen Wissenschaftler

Dass sie dabei immer wieder im Zentrum der Geschehnisse steht, dass sie trotz ihrer Unerfahrenheit immer der Stichwortgeber für neue Erkenntnisse ist, darf man dem Verfasser, selbst einst Berufsoffizier bei der Navy, nicht ankreiden, dient unsere Protagonistin doch als Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse.

Inkludiert hat Cameron dabei auf herrlich unauffällige, unaufgeregte Art und Weise Inklusion und Wokeness, dass es eine wahre Freude ist, die herrlich gelungene Übertragung von Bernhard Kempen, der ja auch Corey EXPANSE übertragen hat, zu lesen. Als Schauplatz dient eine ferne Zukunft, nach einem teilweisen Zusammenbruch und Wiederaufbau der menschlichen Gesellschaft, in der sich die Menschen im interstellaren Raum ausgebreitet, bewohnbare Planeten besiedelt und riesige Orbitalstädte errichtet haben. Ergo – wir haben Weltraumexotik der überzeugenderen Art satt.

Erstaunlicherweise geht es dann inhaltlich wenig um Kämpfe, um Taktik und Politik. All dies läuft mehr im Hintergrund, Cameron konzentriert sich darauf, uns über seine wenigen, dafür sehr vielschichtig gezeichneten Figuren seine Welt zu zeigen. Das ist weit von Honor Harrington und Konsorten entfernt, zeigt uns stattdessen Schicksale und Menschen, die sich ändern, die sich fortentwickeln. Das ist spannend, in seinen Details ebenso interessant wie in sich überzeugend, mitreißend und eine super gut lesbare Unterhaltung – eines der Highlights in diesem Jahr – nur schade, dass wir auf die gerade in den USA erschienen Fortsetzung noch eine Weile warten müssen!

Miles Cameron: Artifact Space
Aus dem kanadischen Englisch übersetzt von Bernhard Kempen
Heyne Verlag, März 2024
668 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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