Nebra, etwa 2000 v. Christus: Rana ist jung und hat das Leben noch vor sich. Doch sie muss sich auch entscheiden, für einen klassischen Weg einer Familiengründung oder das Dienen für die Göttin Destarte, wie ihre Mutter. Bei einem ihrer Streifzüge durch den Wald wird sie von mehreren jungen Männern überrascht und fast vergewaltigt. Als wenig später Arrak, der Sohn des Herrschenden Orkon und einer der besagten Männer, auf dem Hof ihrer Familie steht und ihre Herausgabe fordert, lügt ihre Mutter in der Not, dass Rana bereits geweiht sei und Arrak somit den Zorn der Götter auf sich ziehen würde. Ist Ranas Schicksal damit endgültig vorbestimmt? Viel lieber würde sie ihren Vater dabei beobachten, wie er die Himmelsscheibe herstellt. Die Scheibe muss Geheimnisse bürgen, von denen Rana noch nichts ahnt.
Ulf Schiewe, stets bekannt für faszinierende, auf den Punkt recherchierte historische Romane ohne Klischees, hat sich in „Die Kinder von Nebra“ einem sehr spannenden, in der Unterhaltungsliteratur bisher vernachlässigten Thema gewidmet. Die kleine Gemeinde Nebra liegt heute in Sachsen-Anhalt. Hier fand man Ende der 1990er Jahren die Himmelsscheibe, die etwa 4000 Jahre zurückdatiert wird. Schiewe begibt sich in „Die Kinder von Nebra“ auf die Spuren einer möglichen Entstehung der Scheibe. Dabei hat sein Figurenkonstrukt alles, was man sich wünschen mag. Neben Rana und ihrer Familie schaut man auch der Gegenseite, somit Orkon und seinen Verwandten über die Schulter. Man erfährt sehr viel über Lebensstile, Frauenbilder, Erwartungen an die Männer, den Glauben der Menschen. Es entsteht ein vielfältiges Bild, das diesen mit etwas mehr als 600 Seiten durchaus dicken Roman zu einem echten Erlebnis macht.
Aber das zeichnet tatsächlich so gut wie jedes Buch des Autors aus. Sie machen Geschichte lebendig, erlebbar und sind großartig geschrieben. Da steht „Die Kinder von Nebra“ in nichts zurück. Der Roman ist gute Unterhaltung und könnte kaum abwechslungsreicher sein. Dadurch, dass man auf die verschiedenen Seiten blicken kann, passiert immer etwas Spannendes und es gibt neue Dinge zu entdecken. Ganz nebenbei lernt man sehr viel über Kultur und Religion im Allgemeinen und die Himmelsscheibe im Besonderen. Ein spannendes Thema, großartig umgesetzt!
Ulf Schiewe: Die Kinder von Nebra.
Bastei Lübbe, März 2020.
624 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.