Ja, Matratzen können Geschichten erzählen. (Wundert sich nicht jeder – das gehört zwar nicht hier hin – wie viele dänische Bettenlager es hier gibt? Und warum dänisch?)
Zugegeben, ich bin Matratzenmuffel, außerdem kann ich überall schlafen – wenn Du auf Tour bist, gibt es keine andere Möglichkeit. Obwohl manche Matratze in diesen Hotels zur langen Dämmerung, bestimmt schon bessere Tage gesehen haben. Schöne Einleitung, denn jetzt sind wir mittendrin. Es ist ein literarischer und historischer Gang durch das 20. Jahrhundert. Eine Matratze, der man gerne zuhören würde. Zuerst beschlafen von dem jungen Immanuel Wassermann in einer Pension in Schaffhausen, wo er sich spontan verliebt, sie sich übrigens auch, und die beiden nach kürzester Zeit verheiratet sind. Ihre Hochzeitsnacht verbringen sie schlaflos und glücklich auf der Matratze auf die auch der Pensionswirt sehr stolz ist. Die Entjungferung hinterlässt allerdings einen Blutfleck in Form des amerikanischen Kontinents auf dem teuren Teil. Der geht, von ihr prophezeit, nie wieder wirklich raus. Egal, er zahlt dem Wirt was er will, denn stolz will er seiner Braut Berlin zeigen und sie seinen Freunden vorstellen; doch obwohl gewarnt, vor den sich breit machenden braunen Horden, fühlt er sich, wie viele Juden während der Machtübernahme, immun. Das hat schreckliche Konsequenzen. Fortan geht die Matratze von Schaffhausen auf Wanderschaft durch die Wirren Europas, aber da sie von feinster Machart ist, hält sie lange durch. Meist sind es Geschichten von Pärchen, die im sich entwickelnden Jahrhundert irgendwie an die Matratze kommen oder klammern. Es sind schöne kleine Geschichten, und mithilfe der Matratze öffnen sich jeweils neue Welten. Die Zeit vergeht, die Abstände, die die Kapitel mit Jahreszahlen versehen, sind nicht immer gleich. Mal zehn mal zwei Jahre…egal! Wichtig ist, dass sich am Ende ein Kreis schließt. Der, der Matratze und der, des mittlerweile hoch betagten Immanuel Wassermann an der französischen Riviera. Schön!
Tim Krohn: Aus dem Leben einer Matratze bester Machart.
Diogenes, September 2015.
112 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Fred Ape.