Polly Ho-Yen: The Mothers

In der nahen Zukunft sind 99% der Frauen unfruchtbar. Schwangerschaften sind nur mit Hilfe von Medikamenten möglich, die den Müttern jedoch mehr schaden als helfen. In England wurde die Regierung von einer totalitären Partei abgelöst, die sich die Erhaltung der Menschheit zum obersten Ziel gemacht hat. Zumindest behaupten sie das, während ihr System in Wahrheit darauf aufbaut, Eltern zu kontrollieren und zu unterdrücken. Wer nicht den perfekten Normwerten entspricht, muss sein Kind abgeben. Jeder Fehler wird in die Akten eingetragen und nach sieben Fehltritten kommt es zur Zwangsteilung der Familie. Alles im Wohle des Kindes.

In dieser Welt lebt Kit und sie will auf keinen Fall Kinder haben. Dass das einhergeht mit abschätzigen Blicken der Nachbarn, geringeren Karrierechancen und einer Einkommensobergrenze einhergeht, die sie zwingt, im ärmsten Viertel der Stadt zu wohnen, damit kann sie leben. Bis sie sich in Thomas verliebt und der Vorstellung einer eigenen Familie auf einmal real wird. Sie wird sich einfach perfekt verhalten. Sie wird ihrer Tochter Mimi die perfekte Mutter sein – so perfekt, dass nicht einmal die Einrichtungen der Regierung ihr ein besseres Leben bieten könnten.

Kit will kämpfen

Aber egal, was sie tut: Ihr wird eine Verwarnung nach der anderen erteilt und als es kurz vor der Trennung steht, fasst Kit einen Entschluss: Niemand wird ihr ihre Tochter wegnehmen. Sie wird um Mimi kämpfen, koste es, was es wolle …

Ein erschreckendes Zukunftsszenario, das so realistisch gesponnen ist, dass es einen umso mehr gruselt. Polly Ho-Yen kann sich nicht nur gute Geschichten ausdenken, sie kann auch richtig gut schreiben. Die Gefühle und das Verhalten der Mütter, denen ihre Kinder entrissen werden, sind auf einer psychischen Ebene so nachvollziehbar geschildert, dass es einem beim Lesen kalt den Rücken runterläuft. Klar, alles wirkt auf den ersten Blick übertrieben – aber je mehr der Druck und die Drohungen offenbart werden, unter denen die Frauen dieser Gesellschaft leiden, desto mehr berühren einen die Worte.

Unterteilung in „Jetzt“ und „Davor“

Die Geschichte teilt sich in „Jetzt“ und „Davor“, wobei die Kapitel immer abwechselnd Einblicke in zwei Zeitstränge geben, was zu noch mehr Spannung führt.

Ganz nebenbei kommentiert die Autorin auch die realen Probleme unserer Gesellschaft: Die Diskriminierung von Frauen, ihre Reduzierung auf die Mutterrolle und der Blick auf sie als alleinige Verantwortliche in der Kindeserziehung. Ganz abgesehen von dem Dilemma, keine Chefpositionen einnehmen zu können, denn entweder man will keine Kinder, dann darf man nicht, oder man hat Kinder, dann kann man nicht.

Definitiv kein Wohlfühl-Roman, aber etwas, das man trotzdem lesen sollte. Spannend, verstörend und erschreckend realistisch: Eine Dystopie, die den Leser berührt und ihn mit ihrer Wendung am Ende fassungslos, aber verständnisvoll zurücklässt.

Polly Ho-Yen: The Mothers: Sie müssen perfekt sein, oder der Staat nimmt ihnen ihr Kind.
Aus dem Englischen übersetzt von Sonja Rebernik-Hedeiegger.
Piper, März 2023.
427 Seiten, Taschenbuch, 18,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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