Mit Jack passiert etwas Seltsames. Gestern führte er noch die Touristen durch das Schloss Myntholm und erzählte von der geheimnisumwitterten Grafentochter Alma. Und heute findet er neue Spuren von ihr und wird kurz darauf von jedem ignoriert. Seine Frau Aino fürchtet sich scheinbar grundlos vor ihm. Bei dem bleibt es allerdings nicht. Denn schon bald ist er für sie und jeden anderen ein unerwünschter Fremder. Jeder vergisst ihn, sobald er außer Sichtweite ist. Jetzt ist er ein Niemand, heimatlos. Das Überleben in einer so konfusen Situation treibt ihn schneller als ihm lieb ist an den Rand des Wahnsinns. Um nicht völlig durchzudrehen, versteckt er sich im Schlossmuseum, um im Hinblick auf die neuen Informationen Almas besondere Lebensumstände zu erforschen. Viel zu schnell wird sein Lager entdeckt. In Stockholm behandelt ihn seine Mutter ebenfalls wie einen Fremden. Nur der alte Nachbar Arthur erkennt und unterschützt ihn. Jacks einsames Leben in der Stadt wird bunter, als er Marie und die anderen Vergessenen kennenlernt. Sie alle leiden seit ihrer Geburt unter dem gleichen Schicksal wie er. Jack lernt, wie man als Vergessener überlebt. Hanna, eine Ärztin, ist wiederum für die Vergessenen eine große Stütze. Doch so uneigennützig ist ihre Nächstenliebe nicht. Jack ist der Einzige, der Hannas Entscheidungen in Frage stellt und aufbegehrt. Damit bringt er nicht nur sein Leben in Gefahr.
Mit dem Vergessen ist das so eine Sache. Wer erinnert sich schon an Vergessenes? Es gibt Momente, in denen man seine Umgebung nur oberflächlich wahrnimmt. Namenlose, gesichtslose Menschen passieren einen, oder stehen am Rand einer Einkaufsmeile. Wenig später rutschen die Details über den Rand der Erinnerung. Die Autorin Mia Ajvide stellt in ihrem Debütroman die Frage, was wäre, wenn man selbst von der eigenen Familie, dem Partner vergessen würde? Möglicherweise für immer? Und wie soll man das Vergessen überleben, wenn die Angehörigen alle Spuren des eigenen Ichs in einem Akt der Trance entsorgt haben? Schließlich ist die Nahrung der Erinnerung der Austausch und/oder ihre Fixierung. Tote erhalten einen Grabstein. Vergessene werden in Mia Ajvides Roman zu lebenden Geistern, mit denen irgendetwas anders ist, ohne dass man es mit den Händen greifen könnte.
Fazit: ein besonderer Schwedenroman, der mehr als nur ein Debüt ist.
Mia Ajvide: Der Mann, der vergessen wurde.
Klett-Cotta, Februar 2014.
384 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,95 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.