Wild ist die kleine Meta, kaum zu bremsen in ihrem Tatendrang und bei der Heuernte im Weg. Deshalb sitzt sie mit ihren zweieinhalb Jahren „strafweise im Regenfass“. Etwas Schlimmeres kann sie sich kaum vorstellen, Wut steigt in ihr auf. Doch dann beschließt sie, die bösen Großen einfach wegzuschicken und freundet sich stattdessen mit dem Fass an, das brav ist „und zum Liebhaben“. Ab und zu schaut ein Mann-Riese oder eine Frau-Riese herein, aber Meta will sie heute nicht mehr sehen. Viel lieber beschäftigt sie sich mit dem Himmel oder einer Hummel.
So beginnt Marlen Haushofers wunderbarer Roman „Himmel, der nirgendwo endet“, der erstmals im Jahr 1966 erschien und jetzt als Ullstein Taschenbuch wieder aufgelegt wurde. Er begleitet Meta in lose aneinander gereihten Episoden durch ihre Kindheit bis zur frühen Jugend. Die Leserinnen und Leser lernen ihre Familie kennen, die in einem Forsthaus lebt, erleben ihre zwiespältigen Gefühle der Mutter gegenüber und ihre Verehrung für den Vater.
Ihre Wissbegier macht es Meta und den Erwachsenen oft nicht leicht: „Die Großen sind leider sehr lästig. Alle stellen sich Meta in den Weg und hindern sie an ihren Forschungen.“ Doch immer wieder entkommt sie in den Wald, den Garten oder den Roßstall, wo sie sich versunken ihren fantastischen Spielen hingeben kann. Sie kämpft gegen entlaufene Tiger, findet Schätze und unterhält sich stumm mit dem Birnbaum. Am liebsten würde sie sich alles einverleiben, was sie mag, es zerbeißen und hinunterschlucken, auch mit der Mama geht es ihr manchmal so.
Irgendwann wird sie größer und bekommt einen kleinen Bruder. Er ist so ganz anders als Meta, ruhig und gehorsam, doch sie versteht gut, dass die Mama ihn liebt. Außer ihm gibt es nur wenige Kinder, mit denen sie spielt. Mit Mädchen kann sie nichts anfangen und selbst viele Buben sind ihr zu brav. So orientiert sie sich mehr und mehr an der zahlreichen Verwandtschaft und Bekanntschaft, die über den Sommer das Haus am Wald bevölkert und sich am liebsten mit Spielen und Erzählen beschäftigt: die Onkel Schorsch, Fritz und Otto, die Tanten Helene und Wühlmaus (die wunderbar Gedichte vortragen kann).
Das Lesen wird immer wichtiger für Meta und sie setzt sich mit Hilfe des Vaters gegen die Mama durch: Endlich darf sie die Klassiker aus Vaters Bücherschrank holen. Dabei ist ihr Drang zu lernen grenzenlos, auch wenn sich nach und nach in der Nacht immer mehr Gespenster in ihrem Zimmer herumdrücken.
Am Ende fühlt sich Meta schon fast erwachsen. Die Großen erscheinen ihr kleiner, der Vater ist grau geworden. Doch sie spürt, dass sie die Mitglieder ihrer Familie liebt, selbst wenn sie ihr manchmal fremd erscheinen.
Noch nie habe ich ein Buch gelesen, das so tief in die Seele eines Kindes eintaucht und so einfühlsam seine Gedanken einfängt. Oft habe ich mich der kleinen Meta verbunden gefühlt in ihrem Forscherdrang, in ihrer Zerrissenheit und auch in ihrer zeitweisen Einsamkeit. Sie ist gleichzeitig empfindsam und unverwüstlich. Alles um sich herum kann sie zum Leben erwecken, Steine, Wände, Tannenzapfen werden ihre Freunde.
Marlen Haushofers Roman, der autobiografische Züge trägt, hat mich begeistert und ich kann ihn allen nur wärmstens empfehlen, die ihre Kindheit noch nicht vergessen haben oder sich wünschen, für eine Weile in die Gedankenwelt eines Kindes zurückzukehren.
Marlen Haushofer: Himmel, der nirgendwo endet.
Ullstein, Oktober 2018.
224 Seiten, Taschenbuch, 10,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Beate Fischer.