In Jakobs Leben wird Drama ganz groß geschrieben: Er verliebt sich in Hannah, und Hannah erwidert seine Gefühle. Seine Eltern streiten so viel, dass eine Trennung unvermeidbar ist. Und sein bester Freund Erik ist nun Henrys bester Freund. Als die beiden in den Besitz von Jakobs Videokamera und dessen privaten Aufnahmen kommen, nutzt Henry die Videoclips, um Jakob zu schaden. Erik soll sein bester Freund bleiben.
Das Autorenduo Karin Kaçi und Jan Braren haben in ihrem dramatischen Kurzroman das Thema »Mobbing im Internet« aufgegriffen. Am Beispiel eines 15-jährigen Jungen zeigen sie, wie dieser unverschuldet am öffentlichen Pranger landet und dem Mob schutzlos ausgeliefert ist.
Unter fremden Namen Daten ins Netz zu stellen, ist die eine Seite. Die andere ist die Manipulation in einem rechtsfreien Raum. Das Netz vergisst bekanntlich nie. Und wer was im Internet liest, lässt sich genauso wenig steuern.
Um zukünftiges Mobben zu verhindern, lassen die Autoren den Direktor fragen: »…Glaubst du, das ist ein Spiel? Alles nur virtuell? Verstehst du nicht, dass man damit einen anderen Menschen wirklich verletzt?« (S. 155)
Jakobs Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, wobei die Sicht des Vaters dominiert. Sein Scheitern verstärkt das Autorenduo gnadenlos, in dem sie sein Versagen auf allen Ebenen offenlegen: als Vater und Ehemann und schließlich auch als Polizist.
Der kurzweilige Roman »Homevideo« spricht genreübergreifend besorgte Eltern, Lehrer und Betroffene an. Mobbing wird schon seit vielen Jahren thematisiert. Opfer und Täter kamen zu Wort. Bei »Homevideo« gibt es mehrere Erzählperspektiven, um das Thema ganzheitlich zu bearbeiten. Dabei findet sich wenig Interpretationsspielraum. Das Wort »Opfer« wird hierbei nicht benötigt. Vielleicht, weil es Jugendliche als Schimpfwort gebrauchen. Jakobs Freunde und Mitschüler zeigen im Verlauf der Handlung nicht nur ihre Verachtung, sondern verstoßen den Gemobbten aus ihrer Gemeinschaft. Mal verteilen sie im Schutz der Gruppe »likes« oder steigern sich in Häme beziehungsweise Hasstiraden. Ein »Freund« könnte seine Beteiligung an einer öffentlichen Verurteilung unterlassen, wird er sie aber auch verhindern?
»Gefällt mir«/«gefällt mir nicht« ist heute ein beliebtes Gesellschaftsspiel.
Im alten Rom bedeutete »Daumen runter« die sofortige Exekution der Verurteilten vor einer begeisterten Zuschauermenge. Die begeisterte Menge ist bis heute geblieben. In unserer Zeit wird ‚nur‘ der gesellschaftliche Tod des einen durch den des Nachfolgers aus der aktuellen Wahrnehmung gedrängt.
Nach dem schockierenden Finale bleiben dem Leser Erkenntnisse verschiedener Standpunkte im Gedächtnis und ein Gefühl von Hilflosigkeit.
Karin Kaçi: Homevideo.
Carlsen, Januar 2016.
192 Seiten, Taschenbuch, 6,99 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.