Kai Meyer: Die Bibliothek im Nebel

Wuchtiger Roman über das Schicksal mehrerer Familien, die durch Bücher verbunden sind

Wie schon in seinem Roman „Die Bücher, der Junge und die Nacht“, der letztes Jahr ein absolutes Highlight für mich war, dreht sich auch sein neues Buch um Bücher, um Bibliotheken, um die Liebe zu Büchern und um die Bücherstadt Leipzig. Auf drei Zeitebenen, atmosphärisch dicht, hochspannend und voller Emotionen erzählt Kai Meyer vom Schicksal der Menschen, die ihr Leben Büchern widmen.

Im Jahr 1917 folgen wir dem jungen Artur in Russland auf seiner Flucht vor der Revolution, vor den Verfolgern, die seine Familie ausgelöscht haben. Es gelingt ihm, mit einem Schiff nach Deutschland zu fliehen. Er lernt Grigori kennen – dem wir bereits im letzten Buch begegnen konnten – der ihm ein Freund wird. Arturs Ziel ist Leipzig, wo er Mara treffen will, seine große Liebe. Sie war von seiner Tante adoptiert worden und sollte nun in Leipzig den Sohn eines reichen Verlegers heiraten.

1928 begegnen wir der elfjährigen Liette. Ihren Eltern und ihrem Onkel gehört ein großes Hotel an der Côte d’Azur, in welchem das Mädchen den Sommer verbringt. Sie leidet an einer besonderen Krankheit und darf daher tagsüber das Haus nicht verlassen, damit ihre Haut keine Sonne abbekommt. Liette findet eines Tages beim Spielen auf dem Dachboden das Gepäck mehrerer Russen, die vor dem Ersten Weltkrieg viele Male im Hotel Urlaub machten. Dabei entdeckt sie ein geheimnisvolles Buch. Liette interessiert sich auch sehr für die benachbarte Villa am Meer, die seit vielen Jahren leer steht und in der sie eine große Bibliothek gesehen hat.

Und schließlich im Jahr 1957 führt die inzwischen erwachsene Liette das Hotel als Eigentümerin. Sie beauftragt den ehemaligen deutschen Journalisten Thomas Jansen, die Besitzerin dieser Villa ausfindig zu machen, denn Liette möchte das Haus und besonders die Bibliothek retten.

Die Schicksale all dieser Menschen sind eng miteinander verwoben. Ihre Geheimnisse sind gefährlich, manchmal lebensgefährlich. Und alles dreht sich am Ende um Bücher. Dabei spielt ein besonderes Buch, welches Mara gehört hatte, eine ganz spezielle Rolle. Überhaupt ist es Mara, die das Bindeglied ist zwischen all diesen Menschen, diesen Zeitebenen. Ihr Geheimnis vor allem macht all diese Geschichten so dramatisch, so spannend und mysteriös, so mystisch.

Kai Meyer gelingt es auf geradezu geniale Weise, die Leserin in seinen Roman hineinzuziehen. Kaum hat man die erste Seite gelesen, kann man das Buch nicht mehr zur Seite legen. Er ist ein Meister im Erschaffen dieser ganz besonderen Atmosphäre, im Vermitteln dieser Anziehungskraft von Büchern, von gedruckten Worten und Gedanken. Seine Beschreibungen der Handlungsorte machen diese fast greifbar, man meint, die Regale voller Bücher im Haus in St. Petersburg, die dunklen gefährlichen Gassen Leipzigs und die hohen Klippen der Côte d’Azur vor sich zu sehen.  Seine Figuren sind so lebendig, dass man mit ihnen fühlt, atmet, leidet.

Es ist ein Epos voller Wucht und Kraft, voller Emotionen und voller Ehrfurcht vor Büchern und allen, die sie erschaffen. Doch anders als im vorigen Roman hat dieses Buch auch seine Längen, wenn ausführliche, langatmige Erklärungen die Handlung unterbrechen. Aber das übersieht man gerne in einem so hervorragenden, unbedingt lesenswerten Roman.

Kai Meyer – Die Bibliothek im Nebel
Knaur, November 2023
Gebundene Ausgabe, 556 Seiten, 24,00 €

Diese Rezension wurde verfasst von Renate Müller.

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