Es gab einmal eine Zeit, als man die Gegend, die heute nur mehr lebensfeindliche, verstrahlte Wüste ist, als Kaliforniern kannte. Inzwischen erinnert sich niemand mehr an den Namen, viel weniger noch, an das Land.
Seit dem großen Beben, dem Aufriss des Sankt Andreas Grabens und der verheerenden Explosion eines der Forschungsstandorte lebt es nicht nicht mehr wirklich gut hier. Eve hat dies seit frühester Kindheit gemerkt. Eines Nachts drang die Miliz in ihr Haus ein, erschoss erst und ohne jegliche Skrupel vor den Augen der Kinder die Eltern, dann kam ihr Bruder und ihre Schwestern an die Reihe. Auch ihr wurde eine Kugel in den Kopf gejagt – seitdem hat sie ein schwarzes Stahlauge, das ihr Großvater ihr besorgt hat. Zur Rettung ihres Opas vor dem, von der Radioaktivität verursachten Krebs braucht sie Arznei – etwas, die es nur gegen harte Währung gibt. So nimmt sie seit Monaten schon an Arenawettkämpfen teil und ist immerhin seit 8 Begegnungen ungeschlagen.
Dieses Mal aber geht etwas schief – ihr Gegner, ein gigantischer Roboter hat schon die Klaue erhoben um sie zu Mus zu zermatschen, als ihr ein Schrei entfährt – mit drastischen Folgen! Die Platinen ihres Gegners brennen durch – es gelingt ihr zu fliehen. Auf dem Heimweg begegnen ihr drei Drohnen, die von einem kleinen Helikopter angegriffen werden. Sie retten den abstürzenden Piloten, bringen den toll aussenden Jüngling, dem der weggerissene Arm scheinbar nicht viel ausmacht, in ihr Heim. Kurz danach klopft der Orden lautstark an – schließlich hat Eves Schrei bewiesen, dass sie verändert wurde – somit nach ihrer Doktrin kein Recht mehr auf Leben hat und ans Kreuz genagelt gehört.
Dass ihr Geretteter ein Androide ist, den es angesichts der Explosion der Konzernzentrale gar nicht mehr geben dürfte, dass ihr Grossvater eine Verbindung zu den damaligen Vorgängen hat, ist klar – dass sie alle, Eve, der Lifelike, wie man die Androiden, da sie vom Menschen nicht zu unterscheiden waren, nannte ebenso wie ihre Freundin und die zwei Roboter an ihrer Seite in einen Kampf gezwungen werden, der an Dramatik kaum zu überbieten ist ist noch lange nicht das Schlimmste, das ihr widerfährt …
Jay Kristoff scheint derzeit hoch im Kurs zu stehen in der Deutschen Verlagslandschaft. Fischer TOR hat seine gefeierte Nevernight-Trilogie publiziert und den Auftakt seiner brandneuen Vampir-Sage in Vorbereitung, Cross-Cult legt gerade seine fernöstliche Fantasy-Saga um den Lotuskrieg auf und bei dtv wird in Kürze nicht nur der abschließende Band der Iluminae-Akten veröffentlicht, sondern auch die Jugend Space SF Reihe um Aurora mit dem zweiten Teil fortgesetzt. Nun also der Auftakt einer weiteren Trilogie – und, wie kann es anders sein, wieder ein neues Subgenre – dieses Mal eine Dystopie in einer Umgebung, die an Mad Max erinnert. Es geht um jede Menge Geheimnisse, aber auch um wichtige Fragen. Etwa, was das Menschsein ausmacht – ob eine Maschine, etwas Künstliches, das aber Empfindungen hat, das fühlen kann nicht vielleicht menschlicher ist, als so mancher Homo Sapiens?
Was unterscheidet diese gebauten Androiden also von dem Menschen, wo beginnt die Grenze zwischen diesen oder gibt es eine solche Grenze überhaupt? Diese Fragestellung setzt auch die Umschlagillustration geradezu mustergültig um. Überhaupt nehmen die Roboter – Automata, Maschina und Logica – einen breiten Raum im Buch ein. Und natürlich, schließlich haben wir einen Kristoff vor uns, geht es wieder dramatisch, spannend und actionreich zu. Der Verfasser jagt seine Heldinnen und Begleiter durch eine post-apokalyptische Welt, dass es eine wahre Freude ist. Maschinenschrott-Halden dienen ebenso als Schauplatz, wie Kampfkuppeln, kybernetische Kopfgeldjäger und klerikale Bruderschaften die an finstere Inquisitoren erinnern hetzen sie von einer Offenbarung zum nächsten inhaltlichen Wendepunkt, das an Verschnaufen nicht zu denken ist.
Und es geht ergreifend zu – in Rückblicken erleben wir den Genozid an Eves Familie hautnah mit, wer ist sie überhaupt, warum wird sie so gnadenlos verfolgt, wer will sie sein – eine Suche nach Identität, nach ihren Wurzeln und nach ihrem Selbst rückt im Verlauf der Handlung immer mehr in den Mittelpunkt des Plots. Doch nicht nur um sie geht es, auch die Frage der Existenz der Maschinen wird nachgespürt, das bekannte Thema der skrupellosen Konzerne wird recht zurückhaltend bemüht, im Zentrum steht klar die mitreissende Action. Das führt dazu, dass der Roman für ein Jugendbuch doch recht klare, fast grenzwertige Gewaltdarstellungen bereit hält – ergo eher für ein Lesepblikum ab 15 Jahren geeignet scheint. So ist dies ein Auftakt der natürlich mit einem fiesen Cliffhanger abbricht, der uns in ein Setting entführt, das an Mad Max erinnert ohne es zu kopieren, der wichtige Fragen nach dem Ich stellt und dabei packend unterhält.
Jay Kristoff: Das Babel-Projekt 01: Lifelike
Aus dem Englischen übersetzt von Gerald Jung.
dtv, Oktober 2021.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 19,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.
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