Imogen Crimp: Unser wirkliches Leben

Intensiv, modern, psychologisch – eine Lovestory wie das Extrakt aus einer Künstlerseele. Imogen Crimps glühendes Romandebüt ist eine fesselnde Liebesgeschichte mit tiefgründigen, psychologischen Aspekten über eine Beziehung mit ungleichen Machtverhältnissen, über Obsession, Geld und Verlangen. Die bittersüße Amour fou in die sich die junge Opernsängerin Anna und der Bankier Max verlieren, wird modern erzählt.

Wenn man mich neben verschiedene Männer hält, nehme ich ihre Farbe an. Werde mehr wie sie und weniger wie ich.“ (S. 440)

Die Protagonistin Anna passt weder in die Welt der angehenden Opernstars noch ins Leben ihres Liebhabers und hat ständig das Gefühl, sich verstellen zu müssen. Dabei beschreibt die Autorin diese Zerrissenheit und die Disbalance zwischen Männern und Frauen mit feinsinnigem Gespür. Imogen Crimp selbst hat für kurze Zeit Operngesang an einem Londoner Konservatorium studiert.

Ich wagte zu denken, also war es gut?, und dann, als der Applaus anhielt, wie eine Welle, die nicht abebbt, sondern immer weiter rollt, wuchs in mir die Gewissheit, ja, es war gut. Es war sogar verdammt gut.“

Plötzlich begriff ich, was vor sich ging – dass sie alle für mich klatschten –, und ich war unsterblich.“ (S. 137)

Ich konnte mich vom ersten Wort an in das Buch fallen lassen und ich wusste schon auf den ersten Seiten, dass es weh tun würde. Denn Imogen kreiert wundervolle und einzigartige Beschreibungen und unfassbare Vergleiche, die so bildhaft und lebendig sind, dass man sich teilweise wie in einem Film vorkommt.

Dieses Buch darf man nicht schnell weginhalieren, man muss Satz für Satz zelebrieren. In sich aufsaugen, fühlen. Wie grandios muss ein Werk sein, dass ich das Lesen plötzlich über alles andere stelle? Nahezu jede Passage ist pure Kunst. Bewundernswert tiefsinnig.

Doch die wahre Kunst und Tiefgründigkeit hinter dieser Lektüre werden leider nur die Wenigsten erkennen, was sich leider auch in den 1-Stern-Rezensionen spiegelt. Wie kann man dafür nur einen Stern vergeben? Weil es anstrengend zu lesen sei? Nein, es ist einen Hauch anspruchsvoller, als gewöhnliche Unterhaltungsliteratur – und gleichzeitig wunderschön zu lesen. Es ist ganz klar kein Spannungsroman, es ist elegante Genussliteratur.

Ich muss ehrlich sagen, „Unser wirkliches Leben“ hat einen richtig starken Anfang und Mittelteil. Zwischendrin hat es sich leicht abgeschwächt, mir fiel es ein klein wenig schwerer, dranzubleiben. Das Ende plätscherte gefühlt so dahin. Dennoch ist dieses Buch ein Highlight!

Denn Imogen Crimp hat eine Geschichte erschaffen, die ihrem Namen alle Ehre macht – denn sie ist wahrhaftig, fühlt sich echt an. Eine Geschichte, wie sie das Leben schreibt – berührend und ungeschönt. Die feine Art und Weise, wie sie geschrieben ist, passt für mich persönlich perfekt. Eine absolute Leseempfehlung.

Imogen Crimp: Unser wirkliches Leben.
Aus dem Englischen übersetzt von Margarita Ruppel.
hanserblau, Februar 2022.
464 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Olivia Grove.

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