Chicago Illinois, eine Metropole, die ihre beste, ihre große Zeit hinter sich hat. Früher einmal herrschten hier die vier großen Familien, die Schlachthöfe gaben den Menschen Arbeit und ein Auskommen, jetzt regiert die Armut und der Verfall. Kein Wunder, dass die Verbrechen zunehmen, dass Polizisten, Geldeintreiber und Privatdetektive über mangelnde Arbeit nicht zu klagen haben.
Dies ist die Geschichte zweier Bewohner der Stadt, zweier Freunde, die bei der Aufklärung eines Verbrechens zusammenarbeiten.
Alles beginnt damit, dass die behinderte Freundin des Geldeintreibers Willie ermordet wird. Wie und warum, das wird von den ermittelten Beamten unter Verschluss gehalten, so dass Willie seine Freundin, die Privatdetektivin Rani anheuert, Licht in das Dunkel zu bringen.
Bei ihren Nachforschungen stößt Rani schon bald auf Verbindungen zur Ermordung ihres Vaters vor fast 20 Jahren. Und sie stößt auf eine Mauer das Schweigens, selbst der Polizeichef versucht sie von weiteren Ermittlungen abzubringen. Was nur wird hier so vehement versucht zu verschleiern?
Zwar werden die aktuellen Opfer des Serienkillers nicht, wie damals ihr Vater, von einem wilden Tier zerfleischt, sondern fein säuberlich gehäutet, die Hinweise beider Taten aber deuten hin zum alten Geldadel der Stadt. Warum nur sind die Opfer mit Silberketten gefesselt, die ihnen offensichtlich Verbrennungen dritten Grades zu fügen und welches Geheimnis hütet ihr Kumpel Willie so verzweifelt?
Ihre Alpträume melden sich wieder – sie träumt von etwas, das nicht sein kann, nicht sein darf – einem Werwolf ….
Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich vor gut 20 Jahren die Geschichte das erste Mal las. „Night Visions“, so hieß die Reihe im amerikanischen Dark Harvest Verlag, in der jeweils drei Autoren ihren Lesern neue Geschichten präsentierten. Als fünfte Ausgabe erschien ein Sammelband mit Stories von Stephen King, Dan Simmons und George R. R. Martin.
Ich gebe zu, als damaliger glühender Fan Kings habe ich das Buch hauptsächlich wegen dessen Beiträgen gekauft. Kings Geschichten waren toll, Dan Simmons verblüfften mich, doch dann las ich Skin Trade – und wurde förmlich umgehauen!
Anders, als sein Kollegen nutzte Martin den Platz nicht für mehrere kürzere Beiträge, sondern veröffentlichte eine Novelle.
Aber was war das für eine Geschichte, ein dunkler Detektivthriller der an beste Noir Romane erinnerte gemischt mit übernatürlichen Beigaben, die dem Werwolf-Topic eine ganz neue, frische und beeindruckende Seite abgewann. Hier erhob ein Autor seine Stimme, den ich bis dato „nur“ als Verfasser von Science Fiction kennen gelernt hatte, und er bewies lautstark ja unüberhörbar, dass er nicht nur zu erzählen wusste, sondern auch auf ganz eigenen Wegen unterwegs war. Endlich einmal erwartete mich kein müder Abklatsch der gewohnten Handlungsschemata, sondern eine Geschichte, die mich atmosphärisch unheimlich dicht und mit Charakteren besetzt, die mich, ob ihres Schicksals, gefangen nahmen, in ihren Bann zog.
Und diese beeindruckende Story hat nichts von ihrer Kraft verloren. In der mustergültigen Übersetzung von Joachim Körber und versehen mit diversen wunderbar passenden Illustrationen aus der Werkstatt Timo Wuerz´ erwartet den Leser ein Hammerbuch zu einem mehr als günstigen Preis.
Hardcover mit Originalumschlag in Lederstruktur, Lesebändchen – das man angesichts der rund 160 Seiten, die man einfach nicht zuschlagen kann, zu gebannt ist man vom Inhalt, nicht wirklich braucht – und den kongenialen Illustrationen ist dies ein Prachtband der in keiner Sammlung fehlen sollte.
Vom Inhalt wie Aufmachung her mustergültig und herausragend bekommt der Leser hier einen Eindruck davon, dass Martin weit mehr als „nur“ der Kopf hinter „Games of Thrones“ ist, sondern, dass er ein Autor ist, der, wie Christan Endres in seinem Nachwort zurecht ausführt, einer der vielseitigsten Erzähler zwischen dunkler Phantastik und SF ist.
George R. R. Martin: In der Haut des Wolfes.
Festa, August 2014.
160 Seiten, Gebundene Ausgabe, 14,80 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.