David Leviathan, Dion MBD: Letztendlich sind wir dem Universum egal / Every Day

A wacht jeden Tag in einem anderen Körper auf. Jeden Tag die gleiche Person, aber immer ein anderes Leben – Mädchen, Junge und manchmal etwas dazwischen. A lebt sein Leben von einem Tag in den anderen, versucht, die Person, bei der A zu Gast ist, unangetastet zu lassen und wenn A verschwindet, kann sich niemand an etwas erinnern. Es gibt gute Tage und schlechte, manchmal sind die Körper glücklich, manchmal haben sie mit psychischen oder physischen Problemen zu kämpfen – all das erlebt A immer nur für einen einzigen Tag, aber das ist okay.

Bis A Rhiannon trifft, in die A sich unsterblich verliebt, während As Körper der von Rhiannons Freund ist. Und dann erzählt A ihr alles, denn A spürt, dass auch Rhiannon ihn liebt, aber kann eine Beziehung funktionieren, wenn der eine jeden Tag in einem anderen Körper aufwacht?

Dieses Buch ist nicht gut gealtert. Ich weiß, dass es um sein originales Erscheinungsdatum 2012 herum ein großes Ding war und ich wollte es immer einmal lesen, kam aber erst jetzt, Jahre später dazu, da der Fischer Verlag mir netterweise die Neuauflage samt ebenfalls neuem Graphic Novel zuschickte. Die Grundidee liebe ich und halte sie für eine relevante philosophische Frage, über die die Menschheit sich Gedanken machen muss, da in ihrem Kern die Akzeptanz jeder Sexualität liegt: Liebst du den Körper oder liebst du den Menschen dahinter? Eine Idee also, die aktuell wie nie ist – und dennoch stößt die tatsächliche Handlung bei mir oft auf tiefes Unverständnis. Zum Beispiel findet Rhiannon A abstoßend, als er in einem übergewichtigen Körper steckt, es gibt sogar mehr oder weniger den Anstoß für sie, die Beziehung nicht fortsetzen zu wollen. Schon klar, körperliche Anziehung ist ein Bestandteil der meisten Beziehungen, aber für diese Realisierung ausgerechnet auf einen nicht normschönen Körper zurückzugreifen, ist, wie gesagt, nicht gut gealtert. Ich sage damit nicht, dass Übergewicht nicht ungesund sein kann, aber zu implizieren, dass die Liebenswürdigkeit eines Menschen durch sein Körpervolumen abnimmt, ist doch ganz schön heftig. Interessanterweise scheint das auch dem Team hinter dem Graphic Novel bewusst zu sein, denn hier sind die Dialoge anders aufgeteilt und schieben den Zweifel mehr auf As Selbstzweifel als auf Rhiannons Kritik, aber ein paar Sätze kommentarlos zu ändern, ist in meinen Augen eher Schummeln als Problembewältigung.

Egal, was das Graphic Novel versucht, Rhiannon ist einfach kein sympathischer Charakter und dementsprechend schwer fällt es dem Leser, As Obsession mit ihr nachzuvollziehen. Auf eine Person, die biologisch weiblich ist, sich ihr aber als männlich vorstellt, verweist sie konsequent mit weiblichen Pronomen und vielleicht ist es mein universitäres Bubble-Denken, aber das ist doch einfach nur unhöflich. Apropos Pronomen: A wird im Klappentext als „er“ bezeichnet, vielleicht könnte man das mal ändern, wenn man sich als queer-relevant und philosophisch weltoffen vermarkten will.

Auch das Ende lässt den Leser mit mehr Fragen als Antworten zurück Nein, eigentlich stimmt das nicht, eigentlich ist die Antwort: Der Mensch ist egal, es geht nur um den Körper. Was ehrlich, wirklich deprimierend ist und ich hoffe sehr, dass ich das Buch einfach nicht richtig verstanden habe.

Dafür dass es aber genau darum geht, hat A insgesamt auch einen sehr unausgestalteten Charakter, A ist mehr Bewusstsein als eigene Person – eine merkwürdige Entscheidung.

Einen ganz, ganz großen Pluspunkt bekommt die Geschichte für all die verschiedenen Einblicke in all die Leben, die A Tag für Tag besucht. Darin ist so viel Varianz und es werden so viele Teenager-Leben vorgestellt, die dem Leser helfen, ein größeres Verständnis für jugendliche Probleme, Gedanken und Beweggründe aufzubringen. Wäre da nicht die Liebesgeschichte mit Rhiannon (die leider der Kernaspekt ist), hätte es so ein schönes Buch sein können!

Aber ich möchte es nicht verreißen, allein die Idee ist bannbrechend und wenn es zum Denken anregt (was es offensichtlich tut), hat es seinen Job erfüllt. Die genannten Aspekte gefallen mir nicht, aber da mag es anderen Lesern anders gehen und für all die Menschen, die sich in diesem Buch wiederfinden und die diese Geschichte bereichert, freue ich mich!

Zum Graphic Novel will ich weniger sagen, da dies so gar nicht mein Genre ist und ich mich dementsprechend nicht mit diesbezüglicher Qualität auskenne. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass ich die Handlung verstanden hätte, ohne den vollständigen Roman gelesen zu haben und viele der Bilder mit Tendenz ins Olivgrüne gefallen mir auch nicht sonderlich, aber vielleicht würden Leser dieses Genres mir hier wiedersprechen. Es war auf jeden Fall spannend, den Roman verbildlicht zu sehen, die kombinierte Lektüre hat mir viel Spaß gemacht!

Und nun, nach dieser endlosen Rezension: Sollte man das Buch lesen oder nicht? Es ist wichtig, sich in dem Themengebiet zu bilden und vor allem: Sich eine Meinung zu bilden. Auch wenn ich viel Kritik geäußert habe, kann die Lektüre durchaus anregend sein und eventuell helfen, das eigene Denken über Geschlecht und Sexualität zu relativieren. Deshalb: Gerne lesen, wenn euch das Thema interessiert, aber nicht zu viel davon erwarten.

David Leviathan: Letztendlich sind wir dem Universum egal.
David Leviathan, Dion MBD: Every Day (Graphic Novel).
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Martina Tichy.
Fischer, Februar 2024.
416/208 Seiten, Taschenbuch/gebundene Ausgabe, 11,90 €/19,90 €.

Diese Rezension wurde verfasst von Isabella M. Banger.

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