Was sind Blue Carbon Ökosysteme? Wie können Paludi-Produkte dazu beitragen, Moore zu retten? Was hat China beim Aufforsten falsch gemacht? Welche Ideen brüten Start-ups weltweit aus, um CO2 aus der Atmosphäre zu ziehen und zu binden? Was ist beispielsweise von Teppichen aus künstlich hergestellten Blättern zu halten, die auf der Hochsee treiben? Der neueste Geniestreich von Bernhard Kegel begeistert mit seiner gekonnten Mischung aus unbekannten Fakten, verständlich aufbereiteten Informationen sowie hochspannenden Visionen. Vor- und Nachteile, Chancen und Hindernisse werden gekonnt gegeneinander abgewogen. Halten die „Grüne Lösungen gegen den Klimawandel“ alle, was sie versprechen?
Grün ist die Hoffnung
Während die Klimaerwärmung weiter voranschreitet und es die Weltgemeinschaft nicht schafft, ihre CO2-Emissionen in den Griff zu bekommen, tüfteln Wissenschaftler weltweit an abenteuerlichen Ideen, um möglichst viel Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre zu ziehen. Es herrscht Goldgräberstimmung. Firmen wie DirectAirCapture arbeiten mit riesigen Ventilatoren und Luftfiltern, welche das Kohlenstoffdioxid mit Wasser in den Untergrund pumpen. Doch die Erfolge sind bislang überschaubar. Dabei gibt es ein bewährtes System, das in der Lage ist, CO2 zu binden und nebenbei wertvolle Biomasse für Nahrung, Wärme, Baustoffe und Medikamente daraus zu machen. Die Photosynthese! Genauer: Bäume, Moore, Algen, Mangroven, Kleinstlebewesen wie Plankton. Seit Jahrmillionen erfolgreich, doch leider durch den menschengemachten Raubbau an der Natur arg in Mitleidenschaft gezogen. Länder wie China haben bereits angefangen, großflächig aufzuforsten. Auch, um Überschwemmungen und Sandstürmen zu begegnen. Doch gut gedacht ist nicht gut gemacht. Denn leider wurden hauptsächlich Monokulturen aus schnell wachsenden Bäumen gepflanzt, die in China gar nicht ursprünglich beheimatet waren. Das bringt weder der örtlichen Fauna einen Nutzen, noch zeichnen sich diese Wälder durch große Resilienz gegenüber Parasiten, Umweltkatastrophen oder andere Gefahren aus. Nur einer von vier Bäumen überlebt.
Moore und Salzwiesen – ein Riesenpotenzial
Während die meisten Menschen beim Thema „Grüne Lösungen“ an Wälder denken, ruht das vielleicht größte Potenzial in Meeren und Mooren. Werden Moore ausgetrocknet, ist das doppelt tragisch. Denn so geht ein wirkungsvoller CO2-Binder verloren. In Mooren ist bereits viel fossiles CO2 gebunden, dass dadurch wieder in die Atmosphäre gelangt. Von der Kohlenstoff-Senke zur Kohlenstoff-Quelle – ein Supergau! Nochmals in konkreten Zahlen: Würden wir alle trockenen Moore in Deutschland wieder vernässen, würden wir 40 Millionen Tonnen weniger CO2 ausstoßen – dies entspricht der Hälfte aller Emissionen der deutschen Industrie. Doch was ist mit den Bauern, die ihr Land an die Moore verlieren würden? Eine Lösung könnten die so genannten Paludi-Produkte sein – Erzeugnisse der Moorwirtschaft, die als Baustoff, Verpackungsmaterial und Bio-Heizöl verwendet werden. Wasserbüffel statt Rindern könnte eine weitere Devise lauten.
Bernhard Kegel versteht es als großartiger Biologe und nicht minder großartiger Autor ein augenöffnendes „Best-Practice“-Beispiel aufzugreifen, das für manchen Schmunzler sorgt. Die charakteristischsten Produkte Hollands wie Butter und Käse seien nur dadurch entstanden, dass das Hochmoor stark entwässert wurde, dadurch absackte, für die landwirtschaftliche Nutzung unbrauchbar wurde und lediglich als Grasland für Rinder genutzt werden konnte. Dies zeigt, dass sich Verzicht manchmal in großen Gewinn verwandeln kann. Gewusst wie!
Komplexe Ökosysteme: alles nicht so einfach!
Die Natur ist komplex und divers. Bis heute haben Wissenschaftler die Photosynthese noch nicht vollständig begriffen. Wer glaubt, das ganze Festland mit Wäldern aufforsten zu können, um dem Klimawandel zu begegnen – und gleichzeitig so weiterzumachen wie bisher – irrt. So könnte zum Beispiel in arktischen Zonen der Albedo-Effekt für einen gegenteiligen Effekt sorgen. Wälder sind dunkler als Eisflächen, so dass Eisflächen mehr Sonnenlicht reflektieren statt aufnehmen, was das Klima abkühlt. Zudem benötigen Bäume Jahrzehnte, bis sie die nötige Größe erreicht haben, um spürbare Effekte zu erzielen. Doch die Zeit läuft uns davon … Auch sonst bringt der ökologische Gutachter Bernhard Kegel in diesem starken Buch zahlreiche Beispiele, die mit ungeahnten „Nebenwirkungen“ kämpfen. Ob künstliche Photosynthese oder Ozeandüngung, was sich zunächst gut anhört, kann unter Umständen ganze Ökosysteme zum Kippen bringen.
Das Original ist unschlagbar
In seinen ebenso hochinteressanten wie (für Tierfreunde) hochemotionalen Büchern „Die Natur der Zukunft“ und „Ausgestorbene Tiere“ spricht sich Bernhard Kegel bereits vehement für den Erhalt bestehender Ökosysteme aus. Denn egal was Wissenschaftler und Visionäre gerade auch tüfteln, an das Original, sprich intakte (Regen-) Wälder, Moore, Salzwiesen, Mangrovenwälder und gesunde Meere, kommt nichts ran. Nicht mal ansatzweise. Zum Vergleich: Mit dem stark gehypten DirectAirCapture Verfahren lassen sich pro Jahr 4000 Tonnen CO2 binden. Bei den Blue Carbon Küstengebieten sprechen wir von 3,4 Gigatonnen jährlich!„Es ist vollkommen absurd, enorme finanzielle Mittel und unendlich viel Arbeit in die Aufforstung von Wäldern, die Wiedervernässung von Mooren und die Wiederherstellung von Seegraswiesen, Tangwäldern und Mangroven zu investieren und gleichzeitig die noch existierenden intakten Reste dieser Ökosysteme an anderer Stelle großflächig zu zerstören. Doch genau das geschieht.“ (S. 220) Anders ausgedrückt: Umweltschutz ist Klimaschutz. Das eine funktioniert nicht ohne das andere. In den Worten des Autors: „Von jemandem Hilfe zu erwarten und ihm gleichzeitig Knüppel zwischen die Beine zu werfen, ist schäbig und alles andere als hilfreich.“ (S. 220)
Fazit: So spannend und emotional kann Wissenschaft sein! Bernhard Kegels neuestes Buch ist wichtig, richtig, aufrüttelnd und hoffnungsvoll zugleich. Auf die Politik sollten wir allerdings nicht warten. Kegel zeigt, dass die Wirtschaft und lokale Communitys wie die „Mtangawanda Mongroves Restauration-Initiative“ bestehend aus 30 Frauen auf der kenianischen Insel Lamu, Großartiges bewirken. Ohne Millionen für Forschung und Monitoring auszugeben, ohne auf Zuschüsse der Politik zu warten. Und falls Sie als Taucher nach neuen und SINNVOLLEN Herausforderungen suchen: „Bürger-Taucher“ sind bei dem Projekt des GEOMAR Helmholz-Instituts für Ozeanforschung in Kiel immer herzlich Willkommen, um die potentesten Kohlenstoffdioxid-Binder überhaupt – die Seegraswiesen – unter Wasser zu pflanzen.
Bernhard Kegel: Mit Pflanzen die Welt retten
DuMont, Oktober 2024.
288 Seiten, gebundene Ausgabe, 25,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.