Was ist los, das muss man sich als Fan der unheimlichen Literatur und Bewunderer von Lovecrafts Schöpfung um die Großen Alten schon fragen, wenn innerhalb eines recht kurzen Zeitraums nicht weniger als vier sekundär-wissenschaftliche Bücher über den Mann aus Providence, Rhode Island erscheinen?
Nachdem Festa zunächst mit Frank Belknap Longs „Mein Freund H. P. Lovecraft“ im Herbst 2016 begann, Fischer TOR mit Leslie Klingers „H. P. Lovecraft – Das Werk“ nachzog und wiederum Festa mit Bobby Deries „Sex und Perversionen im Cthulhu Mythos“ nachlegte, das findet im Golkonda Verlag nun seine Fortsetzung. Eine weitere Abhandlung über Lovecraft, dieses Mal, des Umfangs wegen aufgeteilt in zwei Bände, wartet die wohl umfassendste Biographie auf den Interessierten.
Warum nun ausgerechnet in letzter Zeit das Interesse am Autor und seinem Werk so befeuert wurde, das ist logisch nicht richtig zu greifen. Sicherlich gab es Neuübertragungen (Golkonda – Dexter Ward), Festa legte ebenfalls eine neu übersetzte Werksausgabe vor und die Edition Phantasia versorgte die Begüterten mit einer in graues Samt gebundenen Liebhaberausgabe. Das alles mag aber als Erklärung für den Hype ein wenig mager aussehen, freuen wir uns trotzdem, dass Lovecraft und seinen Oeuvre so viel Interesse entgegengebracht wird.
S. T. Joshi ist der wohl profundeste Kenner des Autors und dessen Werk. Joshi hatte Zugang nicht nur zu den erhalten gebliebenen Manuskripten, sondern auch zum umfangreichen Briefwechsel Lovecrafts und seinen Notizen, die in der Bücherei der Brown University aufbewahrt werden. Zunächst stellt uns der Autor den jungen Lovecraft vor, geht dann chronogisch über in dessen Teenzeit, und seine ersten Versuche als Journalist. Sein latenter Rassismus wird dabei ebenso beleuchtet wie seine nicht unbedingt lesbaren Versuche als Vers-Dichter. Danach wendet sich Joshi jeder einzelnen Geschichte zu. Er berichtet über die jeweilige Inspiration, über Quellen die Verwendung fanden, und die Einordnung der jeweiligen Erzählung im Werk. Man muss Joshis Wertungen nicht immer teilen, auf jeden Fall aber spricht hier ein umfassendes Wissen aus dem Text.
Allerdings liebt es Joshi auch mit seinem Wissen und seinen Einsichten zu prahlen. Sehr oft schiebt er sich, seine Meinung in den Vordergrund statt diese, wie es usus ist im kritisch-wissenschaftlichen Kreis, im Hintergrund zu platzieren. Auch fällt auf, dass er seine persönliche Einschätzung gerne als unverrückbar hinstellt und und den Leser ein wenig zu bevormunden versucht.
Unbestritten ist die Detailfülle die er präsentiert, die Quellen aus denen er schöpfen kann und das Wissen, das er sich über den Menschen und dessen Werk angeeignet hat. Auch wird immer wieder deutlich, wie sehr Joshi die Texte schätzt, mit welcher Begeisterung, ja fast schon Obsession er an diese umfangreichste Biographie gegangen ist.
Als Fazit bleibt mir, dass diese Biographie weit detailreicher als die früheren in deutsch vorliegenden Versuche, Lovecrafts Leben und Werk einzuordnen (Lyon Sprague de Camp) sind. Dabei erreicht er allerdings naturgemäß weder die Intimität von Long, der mit Lovecraft persönlich befreundet war, noch die kritische Distanz Klingers.
S. T Joshi: H. P. Lovecraft – Leben und Werk 01.
Golkonda-Verlag, Oktober 2017.
738 Seiten, Taschenbuch, 39,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.
Lustigerweise habe ich über Klingers Werk auch schon gehört, dass es zu unkritisch sei und man ihm zu sehr den HPL-Fan anmerkt. Ihm wurde hierbei sogar unterstellt, kritische Punkte (hier ging es bes. um das Verhältnis zur Mutter, dass zu positiv dargestellt sei) unter den Tisch fallen gelassen wurden. Sah ich jetzt nicht so. Es ist keine Biographie und für den Zweck des Buches fand ich die präsentierten Informationen durchaus angemessen und ausreichend.
Was nun Joshi angeht: Ich hatte zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass der Autor mir seine Meinung aufdrängen will. Vielleicht ist es hierbei auch hilfreich, dass Joshi und ich ohnehin einen z. T. recht ähnlichen Geschmack zu haben scheinen. Aber er ist auch nicht vollkommen deckungsgleich. Auch nicht bei Lovecraft. Ich fand ihn eher überraschend neutral. Wenn ich mir vor Augen halte, wie Joshi vom Leder ziehen kann, wenn ihn etwas stört. Ich habe halbwegs, da er HPL-Fan ist, mit sehr viel Lobhudelei gerechnet. Aber er spricht Probleme in Lovecrafts Werken und seiner Einstellung recht deutlich an. Auch wenn er bei der einen oder anderen Gelegenheit noch andere, mögliche, Lesarten anbietet. Aber stets nur als Möglichkeit. Fand ich ziemlich gut.
Toller Artikel. Vielen Dank dafür!