Man sieht Lew Archer an, dass er nicht zum mondänen Tennisclub Montevista gehört. Dies liegt unter anderem an seinem einfachen Anzug und den direkten Fragen, die er Angestellten und Mitgliedern über Francis Mantel stellt.
Sein Mandant, ein junger reicher Mann, erklärt, Francis Mantel sei seit zwei Monaten hier, und plötzlich stünde seine ehemalige Verlobte unter Mantels Einfluss. Es sei keine normale, keine gesunde Beziehung. Er mache sich schreckliche Sorgen um sie.
Für den Detektiv Archer aus Los Angeles scheint es ein ganz normaler Fall zu sein, bis er auf Ungereimtheiten stößt. Dieser Mantel bringt auf der einen Seite alles mit, was ein reicher Mann unter seinesgleichen braucht: Arroganz, Geld und den Anspruch, nur das Beste sei gerade gut genug für ihn. Doch auf der anderen Seite hat er die Angewohnheit, genauso schnell zu verschwinden, wie er gekommen ist. Nur dieses Mal will er die Exverlobte des Mandanten mitnehmen.
Glücklicherweise wird Ross Macdonald (1915 – 1983) gerade wiederentdeckt. Er zählte zu den besten amerikanischen Autoren von Kriminalromanen. Dies liegt unter anderem an seinen wendungsreichen Geschichten, seinem prägnanten Schreibstil, der pointiert und bilderreich zu unterhalten weiß.
Archers Suche nach der Wahrheit offenbart anschaulich, warum Menschen einerseits für die Wahrung ihrer Interessen Zweckgemeinschaften eingehen oder bei Interessenkollision aufeinanderprallen. Der Detektiv ist nicht nur bei seiner Arbeit integer. Denn er steht für seine Moralvorstellung ein und folgt dabei seinem Sinn für Gerechtigkeit. Dabei ist er von dem Wunsch beseelt, die Welt in einem besseren Zustand zu verlassen, als er sie vorgefunden hat. Irgendwann hat Archer gemerkt, dass Mitgefühl nicht zu dem engen strafrechtlichen Korsett eines Polizisten passt. Während die ehemaligen Kollegen Straftäter dem Justizapparat überstellen, erlaubt er sich, in den Fällen wegzuschauen, wenn das Leben einen Menschen schon genug bestraft hat. Die Gnade vor Recht lässt Archer nur dann nicht gelten, wenn Körperverletzung und Mord zu ahnden sind. In solchen Fällen wird er ein hartnäckiger Ermittler.
Im Zentrum des 1965 erschienenen Kriminalromans Schwarzgeld stehen Personen, die alle Opfer unglücklicher Umstände werden. Eine falsche Entscheidung setzt Eskalationen in Gang, die wiederum andere unverschuldet mitreißen.
Anfangs spricht Archer mit dem alten Vater seines Mandanten. Dieser warnt ihn: „Dann sollte ich, als alter Hase, Ihnen etwas erklären. Möglich ist hier so gut wie alles. Und ist garantiert auch schon vorgekommen. Zum Teil liegt es am Champagnerklima und zum Teil, machen wir uns nichts vor, an einem geradezu unmäßigen Reichtum.“ (S. 43)
Bilderreich öffnet Ross Macdonald den Vorhang zu einer Bühne, auf der das Verbrechen zu Hause ist. „Ein wechselhafter Wind blies von den Bergen herab und führte den körnigen Geschmack von Wüste mit sich. Die von den Böen gepeitschten Eukalyptusbäume schwankten und schaukelten hin und her wie langhaarige Frauen, die der Wahnsinn gepackt hat. Wie eine Bedrohung türmte sich über ihnen die Nacht auf.“ (S. 111) Die Beschreibung des „schwachen“ Geschlechts entspricht in seiner Darstellung den damaligen gesellschaftlichen Gepflogenheiten. Frauen wurden mit einer Selbstverständlichkeit verhökert, gekapert und in eine entrechtete, finanzielle Abhängigkeit zementiert, aus der noch nicht einmal Schönheit und Klugheit retten können. Ross Macdonalds Sittengemälde zeigt auf, ohne anzuklagen. Verbrechen gehören zum Alltag, wie der Alltag zum Verbrechen.
Ross Macdonald: Schwarzgeld
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Karsten Singelmann
Mit einem Nachwort von Donna Leon
Diogenes, Juni 2024
368 Seiten, Taschenbuch, 14,00 Euro
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.