Nicole Gozdek: Die Gilde der Schatten

Farisio hat mit seinen zwanzig Jahren bereits Einges ertragen müssen. Seinen Vater hat er nie gekannt, seine Mutter hat ihren Sohn nie geliebt, hat sich mit Liebhabern und Speichelleckern umgeben, bis sie eines Tages verrückt wurde und mittels ihrer Magie die Köchin im Backofen verbrannt und den Hauslehrer gemartert hat. Der Junge flieht in eine der anderen Domänen der Splitterwelt. Da er aus einem begüterten Haushalt stammt, weiss er nicht wirklich, wie er als rechtloser Flüchtling überleben soll. In seinen dreckigen, zerrissenen Gewändern kauft ihm kein Juwelier die wertvollen Schmuckstücke seiner Mutter ab, er wird als Dieb verleumdet, bestohlen und verjagt. Als er in einer Mülltonne ein schreiendes Kleinkind findet, nimmt er sich des Mädchens an, gibt sie als seine Schwester aus und nimmt sie in seiner Erdhöhle, in der er sich versteckt, auf. Muss er sich nun doch prostituieren um das Überleben von dem Kind und sich selbst sicherzustellen?

Bei seinem ersten Einbruch bei einem zwielichtigen Hehler, der ihn bestohlen hat, macht er die unfreiwillige Bekanntschaft zweier Schatten – wie man die Mitglieder der Diebes- und Assassinenzunft nennt. Als er sich weigert, ihnen freiwillig zu folgen, entführen sie seine Schwester und zwingen ihr so zur Kooperation. Als er beim Eingangstest der Verbrecherorganisation auf dem Stuhl Platz nimmt, zeigt dieser an, dass er als künftige Anführer der Gilde ausgebildet werden soll – eine Karriere, die Neider auf den Plan ruft, ein Schicksal, das er selbst ablehnt. Was keiner ahnt – in seinem Inneren lauert etwas, etwas Dunkles, etwas Gewaltiges, etwas Tödliches – und es gelingt ihm kaum mehr, das Dunkle in ihm in Zaum zu halten …

Nicole Gozdek hat mit Ihrem Debut „Magie der Namen“ nicht nur den erzähluns-award des Piper Verlages gewonnen, sondern einen veritablen Bestseller vorgelegt. Mit vorliegendem Roman – erstaunlicherweise (zumindest bislang) ein Einzelwerk ohne projektierte Fortsetzung(en) – entführt sie uns in eine Welt, die in der Klippe, wie die große Felsformation passend genannt wird, eine ganze verborgene Stadt beherbergt. Hier hat sich die Gilde ihre Heimat geschaffen, kümmert sich um ihre Mitglieder, hat ein ebenso strenges, wie umfassendes Regiment errichtet. Und hier muss sich Farisio zunächst einmal einfinden. Eigentlich will er gar nicht hier sein, die Bekanntschaft von Einigen der Mitglieder der Zunft erweist sich als problematisch, in einem verkrüppelten Gleichaltrigen findet er jedoch Anschluß. Es kommt zu den üblichen Verwerfungen. Farisio muss sich gegen Mobbing ebenso zu Wehr setzen, wie er gegen Ungerechtigkeit und Zwänge aufbegehrt. Dann geht es darum, ein Verbrechen aufzuklären, weitere Untaten zu verhindern und den oder die Schuldige(n) zu entlarven. Es geht um nichts weniger, als darum einen drohenden Krieg zu verhindern – und selbstlos, wie Farisio ist, mutig und mit ein wenig Fortune macht sich unser Protagonist daran, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen.

Die Wahl des Erzählers ist für einen Roman, der sich an ein Publikum ab 14 Jahren richtet, natürlich ideal. Hier haben wir einen sowohl geheimnisvollen wie mutigen jungen Mann, dem das Schicksal gar übel mitgespielt hat. Nicht nur dies, er trägt düstere Geheimnisse mit sich herum, agiert aber integer und ehrbar. Der Rest entspricht dann dem üblichen Muster – sprich unser Held muss sich den Kämpfen stellen, muss ermitteln und gegen alle Widerstände letztlich obsiegen – soviel ist von vorne herein klar. Das Wie und die faszinierende Kulisse der Splitterwelt, die nach und nach immer mehr in den Vordergrund rückt, fesselt die Lesenden letztlich an das Buch, das uns rasant und spannend in seinen Bann zu ziehen weiß.

Nicole Gozdek: Die Gilde der Schatten.
ivi, Januar 2022.
400 Seiten, Taschenbuch, 16,00Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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