Lars absolviert seinen Zivildienst in den Werkstätten der Psychiatrie Brockwinkel. Hier lebt es sich allemal besser als zu Hause mit der alkoholkranken Mutter. Dabei geht es im Brockwinkel tatsächlich reichlich verrückt zu. Oder spielen sich die Verrücktheiten teilweise nur im Kopf von Lars ab?
Die psychischen Störungen der Insassen vom Brockwinkel beeinflussen auch maßgeblich das Leben von Lars. So wird Hanna, zu der er eine besondere Beziehung hat, immer wieder ausfällig und gewalttätig ihm gegenüber. Man wird nicht recht schlau aus Hanna und Hedwig, die ein Auto anzündet, das Lars dann löscht. Auch die zwei Arbeitstherapeuten scheinen ein seltsames Spiel mit Lars zu treiben. Die Aufträge, die Lars von einem der beiden erhält, missfallen dann dem anderen wieder.
Zwischendurch liest man immer wieder davon, wie sich Lars‘ Leben zu Hause mit seiner Mutter und in der Schule abgespielt hat. So erfährt man unter anderem von der Fürsorgepflichtvernachlässigung, die vom Jugendamt überprüft wurde oder davon, dass Lars‘ Mutter, die noch weitaus verrückter scheint als die Insassen der Psychiatrie, in einem Pflegeheim arbeitet. Auf einem Film, den die Mitschüler von Lars über das Handy verbreitet haben, ist zu sehen, wie Lars seine volltrunkene Mutter aus einer Kneipe zerrt.
Auffallend sind die ausufernden adjektivlastigen Bandwurmsätze im Text: „Er jagte mit seinem altersschwach rasselnden, betonschweren, froschgrünen Fahrrad über das Kopfsteinpflaster am Sande, wobei ihm das Gehirn im Kopf zu rütteln begann und die Welt in verzitterten Doppelbildern erschien, die sich, kaum zurück auf dem glatten Asphalt, wieder sanft übereinanderlegten.“ (E-Book S. 20). Auch spielt der Autor gern mit bildhaften Vergleichen, derer man in ihrer Häufigkeit schnell überdrüssig wird. Einige davon aktivieren das Kopfkino aber bemerkenswert aussagekräftig: „Sie rollte die Augen nach oben, so dass kurz nur das feucht glänzende Weiß zu sehen war, das an gepellte, hart gekochte Eier erinnerte“ (E-Book S. 8).
Stellenweise fühlt man sich fast überfordert mit all den Aufdoppelungen und Vergleichen wie „Muffkatzenlaune, totengleicher Trägheit, puddingweich gesessenem Sofa, betongrauer Erbsensuppe…“. – Weniger wäre hier wirklich mehr.
Am Ende fühlt man sich als LeserIn vollends so in die Irre geführt, dass man sich fragt, ob alles so war oder eher so gewesen sein könnte oder eben einfach genau so verrückt sein soll. Auf jeden Fall aber und in doppelter Weise passend gewählt ist der Buchtitel „Der Irrweg“.
Kurz gesagt: Sehr skurriler Plot, der mit seinem ungewöhnlichen Stil und jeder Menge überkreativem Einfallsreichtum permanent unter zu viel Strom zu stehen scheint.
„Der Irrweg“ wurde mit einem Stipendium des Berliner Senats gefördert.
Martin Lechner: Der Irrweg.
Residenz Verlag, April 2021.
272 Seiten, Gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Annegret Glock.