Lavie Tidhar: Central Station

Empfinden Robots Liebe? (S. 41)

Willkommen in Central Station, der Stadt, die man früher als Tel Aviv kannte. Irgendwann einmal, vor Jahrhunderten, lange vor der UNTERHALTUNG die die Menschen durch ein Implantat jederzeit online gehen ließ, startete die Spezies Menschen von hier aus die Eroberung des Sonnensystems. Der Mond, der Mars, dann der Asteroidengürtel und die äußeren Planeten werden von den Juden, den Chinesen und den Asiaten erschlossen und besiedelt. Selbst die Robotniks, ausrangierte Kampfroboter, denen menschliche Überbleibsel übergestülpt wurden, fanden hier ein neues Zuhause.

Inzwischen aber sind die ehemaligen Shuttle-Landeplätze oftmals verwaist, hat sich ein Elendsviertel rund um die Türme gebildet. Hier leben sie alle mit- und nebeneinander – Juden, Christen, Moslems und Anhänger der Roboterreligion, Gestrandete Nachkommen der früheren Lohnarbeiter. Wo sich einst Jaffa-Orangenplantagen ausbreiteten wohin aus Auge reichte, stehen jetzt Solarmodule, mechanische Priester lesen die Messe, erteilen die Absolution, selbst der wiedergekehrte Messias wurde schon gesichtet. Und hierher kehrt der Arzt und Gen-Hacker Boris Aharon Chong zurück um seinem Vater beim Sterben zu begleiten und – vielleicht – seine alte Liebe wiederzufinden. Neben dieser, die inzwischen eine kleine Bar betreibt, lernen wir einen verliebten Robotnik kennen, eine Strigoi, die von einem außerirdischen Virus umgewandelt wurde, einen mechanischen Priester und einen Jungen, der eine ganz besondere Gabe sein eigen nennt …

Was ist das für ein Roman, der überall hoch gelobt wird? Lavie Tidhar ist wahrlich kein Unbekannter – auch wenn er in deutschen Landen nicht recht durchstarten will. Sein mit dem World Fantasy Award preisgekrönter Roman „Osama“ ging schlicht unter, sein erster Bookman Roman (Piper) floppte, die weiteren zwei Titel der Trilogie erschienen nie. An seinen wunderbaren „A Man Lies Dreaming“, ein Noir-Krimi mit Adolf Hitler als Privat-Eye im London einer Alternativwelt, wagt sich kein Deutscher Verlag heran.

Nun also ein Einzelwerk, ein Roman, der einmal nicht die Amerikaner, Russen oder Europäer als Eroberer des Weltalls präsentiert, sondern Afrikaner und Asiaten zusammen mit Arabern und Israelis ins Zentrum stellt.

Das habe ich bis dato so noch nicht gelesen, so dass sich hier eine ganz neue Welt für mich auftat. Mehr noch, Lavie Tidhar, der vor ein paar Jahren in Leipzig auf dem ElsterCon zu Gast war, schüttet ein wahres Füllhorn an Ideen über dem Rezipienten aus. Charaktere, Einfälle und ungewöhnliche, faszinierend andere Bilder bestimmen den Roman. Das hätten andere Autoren in gleich einer Handvoll von Büchern ausgewälzt, Tidhar berichtet uns von Kriegen und ihren mechanischen Söldnern, von einsamen Robotniks, von Menschen auf der Suche nach einem Halt, nach einer Religion, nach Erfüllung und Glück.

Aber, und hier ähnelt der Roman „Osama“, es fehlt ein wenig der Haken, mit dem uns der Autor ködert. Nichts ist wirklich langweilig, aber wenig ist packend oder fesselnd. Der Plot fließt gemächlich wie ein breiter Fluss vor sich hin, bietet immer wieder an weiten Bogen durchaus interessante An- und Einblicke, lässt aber einen Lesesog vermissen. Nie kam wirklich atemlose Spannung auf, wie es wohl weitergehen würde, was mich auf der nächsten Seite erwarten würde.

Ist Central Station also ein gutes, oder ein schlechtes Buch? Das kommt darauf an, mit welcher Erwartung der Leser an den Text herangeht. Wer spannende Action sucht, der ist hier definitiv an der falschen Adresse. Wer aber Ideen, ungewohnte Einblicke in fremde Kulturen und eine überzeugende Zukunftszeichnung sucht, der wird hier ein ganzes Bündel an Einfällen finden.

Lavie Tidhar: Central Station.
Heyne, Januar 2018.
352 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Carsten Kuhr.

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