Die Frauen in den Krimis von Ingrid Noll morden leise und perfide. Und die Polizei kommt ihnen nie auf die Schliche. In ihrem neuen Roman „Der Mittagstisch“ gibt es nur zwei Tote; da hat Ingrid Noll früher schon ein Vielfaches ins Jenseits befördern lassen. Fast rechnet man mit einem dritten Opfer, aber dieser Mann überlebt.
Es ist eine illustre Runde, die sich da täglich am Mittagstisch von Nelly versammelt: Handwerker, Lehrerinnen und ein alter Kapitän, dazu die Kinder. Die Mittdreißigerin bessert mit der Privat-Kantine ihr Budget auf. Da taucht plötzlich der Vater der Kinder aus Amerika wieder auf. Turbulent ist das Leben der allein erziehenden Mutter, aber Nelly meistert es wie eine Superfrau.
Unterhaltsam lässt die Altmeisterin der deutschen Krimi-Literatur die Mittagsgesellschaft lästern und lüstern über Tellerränder schauen, macht einzelne Mitglieder der Zweckgemeinschaft, die alle sehr verschieden im Charakter sind, zu Verbündeten und Komplizen. Und eine kleine Liebesgeschichte gibt es auch.
Einen Krimi mit Thriller-Hochspannung kann man von Ingrid Noll nicht erwarten, wohl aber ein Buch, das eine feine Charakterstudie von Frauen und Männern ist.
Schade, dass die inzwischen 79-jährige Autorin nur alle zwei Jahre einen neuen Krimi schreibt. Von ihren Miss-Marple-ähnlichen Krimis würden wir gerne mehr lesen.
Ingrid Noll: Der Mittagstisch.
Diogenes, August 2015.
224 Seiten, Gebundene Ausgabe, 22,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Julia Gaß.