Der Wirtschaftsjournalist Günter Ogger versteht es, mit seinen Büchern den Leser aufzurütteln und Empörung zu erzeugen. In seinem Fokus stehen immer Menschen, Konzerne und Organisationen, die unangenehm auffallen. Gier, Machthunger, Betrug, Skrupellosigkeit, dies sind nur einige der Themen, denen er sich widmet. Gut recherchiert und geschrieben sorgen seine Sachbücher für eine kurzweilige Unterhaltung.
In seinem aktuellen Buch präsentiert er rhetorisch gewandt ein großes Thema, die Moral und hinterfragt: Wer definiert wie Moral? Und warum lassen sich über das Internet Tausende für eine konkrete Meinung gewinnen und im extremen Fall radikalisieren?
Ein Ausgangspunkt beginnt mit dem Wunsch vieler Menschen, am liebsten gut zu leben. Steht diesem Ziel der Konkurrenz- bzw. Verteilungskampf im Weg, wird bei den Unterlegenen schnell der Ruf nach Gerechtigkeit und Moral laut. Dabei fällt auf, wie überstrapaziert die allgemein empfundene Ungerechtigkeit in den Medien fokussiert wird. Doch sobald die neuen, gerechten Regeln versprochen werden, ist bei genauerer Betrachtung meist nur ein kleiner Personenkreis Nutznießer.
Für die Diktatur der Moral und die Blockade in unserer Gesellschaft führt Günter Ogger zahlreiche Beispiele auf. Mal wollen Politiker die Massen für Macht und ehrgeizige Ziele einsetzen. Oder Konzerne beziehungsweise Superreiche zelebrieren in den Medien ihre guten Taten und Spenden. Unisono reagieren sie auf Aufrufe im Internet, um letztendlich als Sympathieträger viele, sehr viele „Likes“ und extremen Gewinn zu erhalten.
Konkurrenz um Aufmerksamkeit findet sich überall. Zum Beispiel bei den Medienvertretern, die im harten Konkurrenzkampf um Verkaufszahlen und Klicks buhlen; oder den Konzernen, die im globalen Wettbewerb ihre Produkte billig produzieren und teuer verkaufen; oder bei den Kirchen, die ihren Einfluss und ihre Geldquellen behalten wollen. Auch Entscheidungsträger in staatlichen Gebilden wollen einerseits beim Pöstchenroulette gewinnen und bedienen andererseits die Interessen ihrer Vorgesetzten, der Wähler und der Lobbyisten.
Uneinkalkulierbar bleiben die privaten Blogger, die möglicherweise gar nicht mehr so privat sind, wenn sie von Interessenvertretern bezahlt werden.
In dem Getöse um „brisante“ Informationen geht es lebhaft und launisch zu.
Laut Günter Ogger werden öffentliche Diskussionen gern unter dem Gesichtspunkt der Moral geführt. Wer diese auf seiner Seite hat, gehört bekanntlich zu den Guten und muss sich automatisch nicht rechtfertigen. Dagegen werden die am Pranger Stehenden hinterfragt. Ohne Gnade, ohne ein gesundes Maß an Verhältnismäßigkeit und oft ohne die nötige Sachlichkeit. Die Diktatur der Moral ist nicht zu jedem großzügig.
Zu Recht schreibt Günter Ogger: „… Da eine freie Gesellschaft zwangsläufig mehr Verlierer als Gewinner hervorbringt, werden stets jene Parteien die Mehrheit der Wählerstimmen gewinnen, die den Unterlegenen am überzeugendsten Trost und Wohltaten verheißen…“ (S. 85)
Doch „… Wie können die egoistischen Triebkräfte des Menschen fürs gedeihliche Zusammenleben genutzt werden? Die passende Antwort indes hängt vom jeweiligen Bild ab, das sich der Mensch von sich selber macht…“ (S. 129)
In der Informationsflut rutscht sein Thema ab und zu aus dem Fokus. Unzählige Beispiele präsentiert Günter Ogger wie Schlagzeilen, ohne in die Tiefe zu gehen. Manchmal werden innerhalb eines Absatzes inhaltliche Bezüge hergestellt, die Klärungsbedarf haben. Bei seinem Rundumschlag wird wenig ausgelassen. Inwieweit das Bildungssystem die Heuchelei um Moral und Gerechtigkeit mitträgt, lässt er außen vor. Vielleicht schreibt er hierüber ein neues, unterhaltsames und informatives Buch.
Eines dürfte klar sein: Umweltverträglich, nachhaltig, gerecht, moralisch einwandfrei handeln, dabei den Schwachen zu einem besseren Leben verhelfen und gleichzeitig Gewinne maximieren, bleiben so unvereinbar wie das Waschen ohne Wasser.
Auch wenn die Werbung beim Kundenfang treuherzig etwas anderes verspricht.
Die Ausgabe eines jeden Euros ist zu einem politischen Akt geworden.
Günter Ogger: Die Diktatur der Moral: Wie „das Gute“ unsere Gesellschaft blockiert.
dtv, Mai 2015.
400 Seiten, Gebundene Ausgabe, 21,90 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.