Christoffer Carlsson: Wenn die Nacht endet

„Die Erwachsenen behaupteten, es gut zu meinen, doch die Leidtragenden sahen das anders. Es wurde als Strafe empfunden, und das war es wohl auch; als sei das, was Mikael und Kilian widerfahren war, in gewisser Weise ihrer aller Schuld. Sander fühlte sich zu Unrecht verknüpft mit Tod und Gewalt, obwohl seine Gedanken um kaum etwas anderes kreisten.“ (S. 201)

Für Sander ist deshalb eine Welt zusammengebrochen. Ohne Vorwarnung ist sein bester Freund bei einem Unfall gestorben. Aber das Schlimmste für ihn ist die allgemeine Vorverurteilung, Kilian habe nach der Party Mikael erschlagen. Sander kann und will nicht daran glauben. Dieser unerschütterliche Glaube hält ihn in seiner dörflichen Heimat fest, die er schon als Kind verlassen wollte. Der Traum seines Jurastudiums in Stockholm ist geplatzt.

Zwanzig Jahre glaubt er an Kilians Unschuld, bis ein neuer Kommissar alles neu bewertet. Routinierte Lügen, die Verdrängung von traumatischen Erlebnissen und vieles mehr bilden den Nährboden für weitere Todesfälle.

Der schwedische Autor Christoffer Carlsson hat für seine zum Teil verfilmten Kriminalromane Preise gewonnen. Sein dritter Halland-Krimi, Wenn die Nacht endet, gewann 2023 den Schwedischen Krimipreis und 2024 den skandinavischen Krimipreis.

Seine Charaktere wirken wie normale Menschen, die ein ganz normales Leben leben und ihre Träume hegen. Viele von ihnen verlieren so nach und nach ihre Hoffnung und Träume. Es passiert einfach in einem unbedachten Moment, sodass sie wie verlegte Schätze am Rand des Bewusstseins kleben bleiben. Aus guten und weniger guten Gründen lassen sich Christoffer Carlssons Charaktere zu unterschiedlichen Taten hinreißen, aus der sich eine Kettenreaktion von weiteren Ereignissen entwickelt.

Im Zentrum der Geschichte steht nicht nur Sander und seine Konfrontation mit alter Schuld und verdrängtem Fehlverhalten. Viele haben bei Straftaten weggesehen, geschwiegen und dachten, sie dürften sich nicht einmischen. Und bei jedem von ihnen lauert ständig diese unterschwellige Angst, zur Rechenschaft gezogen zu werden. 20 Jahre nicht gelebtes Leben nährt diese Angst, bis das schwächste Glied in der Kette bricht.

Schuld und Sühne haben bei Christoffer Carlsson jedoch noch eine weitere Bedeutungsebene. Sie sind das Leitmotiv seiner Romane. Alles hat Folgen, und deshalb muss alles eines Tages ans Licht. Strafe muss sein.

Nach einem etwas sprunghaften Auftakt entwickelt sich eine packende Lektüre, die, psychologisch durchdacht, viel Raum für Empathie und Verständnis bietet. Denn niemand kann vor der Verkettung von unglücklichen Umständen weglaufen.

Christoffer Carlsson: Wenn die Nacht endet.
Aus dem Schwedischen übersetzt von Ulla Ackermann.
Kindler, Mai 2024.
464 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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