Christine Dwyer Hickey: Schmales Land

Der Maler Edward Hopper und seine Frau Josephine verbringen die Sommer in ihrem Haus auf Cape Cod direkt am Meer. Dort werden sie von allen Mr und Mrs Aitch genannt und leben zurückgezogen auf dem schmalen Ausläufer der Halbinsel, etwa 400 Meilen nördlich von New York. Während die vermögenden Sommergäste ihre Zeit am Strand verbringen oder sich auf Festen amüsieren, sucht Hopper nach Motiven und dem richtigen Licht. Schon seit Monaten kommt er nicht voran, und Josephine beäugt ihn so kritisch, dass ihre Ehe immer mehr in eine ernste Krise rutscht. Zur gleichen Zeit lernen sie den deutschen Waisenjungen Michael kennen, den ein amerikanisches Paar adoptiert hat. Michael darf als Gast der Familie Kaplan den Sommer am Meer erleben, die in der Nähe von Hoppers Sommerhaus ihr Feriendomizil genießen.

Auch bei der Familie Kaplan kriselt es. Denn die alte Frau Kaplan trauert um ihren gefallenen Sohn und wird bald von ihrer todkranken Tochter Katherine nehmen müssen. Gleichzeitig häufen sich zwischen ihrem Enkel Richie und seiner Mutter Olivia Meinungsverschiedenheiten, unter anderem weil diese wieder einen neuen Ehemann sucht, während Richie seinen toten Vater vermisst.

Das Drama bei Mr und Mrs Aitch und der Familie Kaplan nähert sich auf leisen Sohlen. Für alle hätte es eine angenehme Sommerfrische werden können, um das Leben zu feiern und nach vorn zu schauen.

Die Irin Christine Dwyer Hickey ist Autorin und Dramatikerin. Ihre Werke wurden in mehrere Sprachen übersetzt und erhielten Preise. Für ihren Roman Schmales Land erhielt sie ebenfalls Preise. Die Autorin nimmt sich für die Zeichnung aller Charaktere viel Zeit, als gäbe es mehr als nur zwei, drei Hauptfiguren. Bei jeder Erzählperspektive wird die Leserin, der Leser so intensiv in die Gedankenwelt des jeweiligen Charakters mitgenommen, dass sich Sympathien und Antipathien zu den anderen Charakteren einstellen. Und bei einem Wechsel der Perspektive geschieht das Gleiche in eine andere Richtung. Dabei fragt man sich, wohin die vorhin noch empfundene Empathie verschwunden ist.

Christine Dwyer Hickeys Medaille hat mehr als nur zwei Seiten. Sie zeigt scharfe Kanten, Dellen, Risse und vom vielen Reiben glatt polierte Stellen. Ihre wunderschöne Sprache vervollständigt die dramatische Sommergeschichte, die von Uda Strätling aus dem Englischen übersetzt worden ist.

Im Kopf bleiben ein zernagtes Herz im Paradies, die Schaffenskrise eines Malers und die Orientierungssuche zweier Jungen. Im Hintergrund liegen die Scherben des Zweiten Weltkriegs, und im Vordergrund reisen die ersten amerikanischen Soldaten nach Korea in den nächsten Krieg. Das Drama der Demaskierungen hat seine perfekte Kulisse gefunden.

Christine Dwyer Hickey: Schmales Land.
Aus dem Englischen übersetzt von Uda Strätling.
Unionsverlag, Januar 2023.
416 Seiten, Hardcover, 26,00 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Sabine Bovenkerk-Müller.

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