Radikal, mystisch, mehrdeutig: Carmen Maria Machados Debüt polarisiert, schockiert und regt zur Diskussion an. Essenz des vielfach ausgezeichneten Erzählbandes: Frauen gehört ihr Körper nicht! Alle möglichen Parteien verschaffen sich Zugang, um an den Vorteilen zu partizipieren. Vorneweg die Männer, teils durch patriarchalische Strukturen, teils gewaltsam durch Vergewaltigung und Mord. Mal sind es die Kinder, die nach Schwangerschaft und Geburt ein „Schlachtfeld“ hinterlassen, um in den folgenden Jahren alle Energie aus ihren Müttern zu saugen. Mal ist es die Gesellschaft, die den weiblichen Körper in Normen zwängt, durch Moralvorstellungen, Jugend- und Schönheitskult. Mal sind es andere Frauen, die sich im Wettstreit um den schlanksten Körper ihren Geschlechtsgenossinnen überlegen fühlen. Mal sind es sogar die eigenen Gedanken, die in Widerstand zum Stofflichen treten. Wahnsinn oder Wahrheit – das ist hier die Frage.
Diese Themen handelt die Autorin in ihren Erzählungen durch eine einzigartige Mischung aus Prosa, Märchen, Mystik, Tiefenpsychologie, Erotik, Sciencefiction und dunklem Humor ab. Beispiele:
Eine seltsame Krankheit greift um sich: Frauen beginnen sich aufzulösen und unsichtbar zu werden. Ein paar lassen sich in Kleider einnähen, die zum Verkaufsschlager avancieren. Andere vereinigen sich mit Gemälden oder mit Lebensmitteln. Haben diese Frauen aufgegeben, sind sie nicht richtig wahrgenommen worden oder ist dies gar eine Form von Widerstand? In einer anderen Geschichte erscheinen einer Polizistin die Geister von ermordeten Mädchen. In „acht Bissen“ unterziehen sich vier Schwestern einer Magenoperation, um schlank zu werden. Doch der Preis dafür ist hoch. Eine Schriftstellerin begegnet in einer Künstlerkolonie sich selbst. Eine kürzlich vergewaltigte Frau kann plötzlich die Gedanken von Pornodarstellern hören. Die harmlos beginnende Anfangsstory „Der Extrastich“ steigert sich langsam zu einem brutalen Ende. Bunte Bänder werden hier zum Symbol für die körperliche Selbstbestimmtheit der Frau, die ihr nicht vergönnt ist.
Immer wieder begegnen die Protagonistinnen Spiegel- und Zerrbilder ihrer Selbst. Wir sehen Körper, die zu Metaphern werden. Der weibliche Leib erfährt fantastische Transformationen. Die Frauen treten aus sich selbst heraus, um wieder zu sich selbst zu finden oder um sich ganz zu verlieren.
Carmen Maria Machado lehrt uns mit ihren Geschichten das Fürchten. Umso mehr, wenn wir uns den realen Kontext vor Augen führen. Gleichzeitig schafft sie Werke voller Poesie, voll eigentümlicher Schönheit, voll flirrender Erotik, voll obskurem Humor. Denn so sehr die Körper der Frauen auch ausgebeutet werden, ihr Verlangen bleibt. Die einzelnen Geschichten sind mit expliziten, aber gleichzeitig sehr sinnlichen Liebesszenen versehen, meist sind es lesbische Begegnungen. Die Autorin selbst ist seit Jahren mit einer Frau verheiratet. Leicht macht es uns nicht. Ihre Geschichten bleiben mehrdeutig, eine klare Auflösung suchen Leser vergebens.
Das Buch erschien zeitgleich zur MeToo-Debatte in den USA auf und traf den Nerv der Zeit. Es geht nicht nur um die körperliche Selbstbestimmtheit der Frau, sondern um ihr Recht, individuell, unangepasst, authentisch zu sein. Echte Frauen haben nicht nur Kurven, sondern Ecken und Kanten. „Es ist mein gutes Recht, meine eigenen Gedanken zu bewohnen… Es ist mein gutes Recht ungesellig zu sein und es ist mein gutes Recht, für andere unangenehm zu sein“, brüllt die Protagonistin in der Erzählung „Die Bewohnerin“.
Für ihr literarisches Debüt erhielt Machado viele Preise und Nominierungen, von Feminismus-Verbänden, von der LGBT-Community bis hin zum National Book Award.
Machados Prosa wirft tiefgreifende Fragen auf und hinterlässt Bilder, die sich noch tiefer ins Gedächtnis eingraben. So wie sich die unsichtbar gewordenen Frauen in Kleider einnähen lassen. Radikal anders: Ein Leseereignis, das keine(n) kaltlässt!
Carmen Maria Machado: Ihr Körper und andere Teilhaber.
Tropen, Januar 2019.
300 Seiten, Gebundene Ausgabe, 20,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Diana Wieser.