Octavia E. Butler: Wilde Saat (1980)

Das wunderbare Titelbild des Buches zeigt die junge, schöne, stolze schwarze Anyanwu, im Hintergrund die Sonne, wobei das goldene Strahlen sowohl von Anyanwu als auch von der Sonne ausgeht. Ich brauche bei so einem tollen Titelbild weder eine Empfehlung, noch einen Klappentext, um Lust aufs Lesen zu bekommen.

Die Autorin Octavia Butler, so schreibt es der Verlag, hat 1976 mit „Patternmaster“ eine Reihe zu schreiben begonnen. Deren vierter Teil ist „Wilde Saat“, inhaltlich stellt der Band den Beginn der Saga dar.

Worum geht es? Die Gestaltwandlerin Anyanwu besitzt die Gabe, zu heilen. Das betrifft auch ihren eigenen Körper, sie kann ihre Wunden und Krankheiten aus eigener Kraft heraus heilen und kann ihren Körper so umwandeln, dass sie Mann- , Frau- und Tiergestalt annehmen kann. Zu Beginn des Romans wird sie von dem unsterblichen Wesen Doro aufgespürt, das die Jahrhunderte überlebt, indem es sich die Körper von Menschen aneignet und in ihnen weiterlebt, bis sie sozusagen abgelebt sind.

Zur Zeit der ersten Sklavenhändler, die Schwarze nach Amerika bringen, ist auch er in Afrika und besieht sich die Versklavten, um einige von ihnen zu kaufen. Er ist dabei auf der Suche nach Menschen, die bestimmte übernatürliche Begabungen haben, sie werden auch Hexen genannt. Mit ihnen betreibt er in der neunen Welt, in Amerika, eine Menschenzucht. Er „paart“ gezielt Menschen miteinander; wenn das Ergebnis ihm nicht gefällt, tötet er sie. Dabei zeugt er selbst unendlich viele Nachkommen.

Doro findet Anyanwu und bezeichnet sie als „Wilde Saat“, weil sie ihre Fähigkeiten jenseits seines Zuchtprogramms entwickelt hat, was sie für ihn schwer berechenbar macht. Damit bekommt der Titel des Buches seine Bedeutung. „Wild“ ist nicht gut, mächtig und frei. Es benennt eher eine unerwünschte Art von Ungezähmtheit. Doro will sich nun Anyanwu unterwerfen und sie zu Zuchtzwecken mit nach Amerika nehmen. Sie folgt ihm unfreiwillig, weil er damit droht, sich ansonsten ihre vielen Kinder zu holen, die sie über die Jahrhunderte geboren hat.

Scheinbar hat Anyanwu keine Chance, sie könnte zwar fliehen, will aber ihre Kinder nicht opfern. Dass Doro sich die Kinder trotzdem holt, weiß der Leser, bevor Anyanwu dieser Gedanke kommt.

Nach weiteren Jahren, in denen Anyanwu zwangsverheiratet und vergewaltigt wird, Doros Kinder großzieht und die seines Sohnes Isaak, kommt der Moment, auf den der Leser gewartet hat. Endlich beschließt diese Frau, in Tiergestalt Doro zu entfliehen. Warum spielt ihre Fürsorge für ihre Kinder und Kindeskinder dieses Mal keine Rolle? Die Erklärung lautet, diese seien Doro sowieso treu ergeben.

Zunächst als Delphin lebt Anyanwu ein freies Leben, dann wird sie sesshaft und gründet eine eigene Gemeinschaft von Menschen mit außergewöhnlichen Gaben. Zwar zwangsverheiratet sie ihre Gefährten nicht, steht aber ebenso wie Doro an der Spitze der Gemeinschaft und die Parallelen zu Doros Menschenzucht sind unverkennbar. Da sie nun wieder menschliche Gestalt annimmt, findet Doro sie und zum Ende des Buches  gehen die beiden eine merkwürdige – für den Leser schwer nachzuvollziehende – Allianz ein.   Es folgt eine ekstatische Vereinigung zwischen Doro und Anyanwu. Er bemächtigt sich ihres Körpers auf die Weise, wie er es mit Menschen tut, deren Körper er übernimmt, lässt sie aber im letzten Moment frei.

Mit diesem verstörenden Moment wird der Leser entlassen – und blickt vielleicht jetzt einmal auf den Klappentext, wie ich es getan habe.

Versprochen wird, dass Doro durch die Gestaltwandlerin Anyanwu das Fürchten lernt. Dass er dreihundert Jahre lang um sie wirbt. Und dass dieses Werben das Schicksal der Menschheit verändert. All dies geschieht nicht.

Ist Anyanwu trotzdem die starke Figur, die der Verlag mit dem Etikett „Frauenpower in der Science Fiction“ verspricht? Nein. Die Heilerin und Gestaltwandlerin kapituliert immer wieder vor Doro, unterwirft sich und verzichtet auf die einzige Waffe, die sie hat, nämlich die Verwandlung in ein Tier.

Dieser Fantasyroman (Science-Fiction-Elemente sind nicht enthalten, spielen aber vielleicht in den anderen Bänden eine Rolle), lässt mich ratlos zurück.

Octavia E. Butler: Wilde Saat (1980).
Aus dem Englischen übersetzt von Will Platten.
Heyne, Juli 2021.
480 Seiten, Taschenbuch, 9,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Corinna Griesbach.

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