Jürgen Seidel: Der Krieg und das Mädchen

seidelDas Deutsche Reich im Sommer 1914: Der Krieg liegt in der Luft und man bekommt ihn überall zu spüren. Sei es zwischen den halbstarken Jungs, die mit Gewehren üben und vom Schützengraben träumen, oder in den Parolen, die zwischen allen Menschen die Runde machen: Jeder Brit‘ ein Tritt. Jeder Russ‘ ein Schuss. Jeder Stoß ein Franzos‘. Auch die 16-jährige Mila und ihr Freund Fritz bekommen dies immer wieder zu spüren. Ihr Vater war Franzose, ist zwar seit mehr als zwölf Jahren tot, sorgt aber immer noch dafür, dass sie und ihre Mutter aufgrund ihres französischen Namens schief angesehen werden. Als Fritz‘ Klasse zu einem Wochenendausflug an den Müggelsee aufbricht, folgt Mila ihnen guter Dinge und lernt in Sheena auf dem Weg sogar noch eine Freundin kennen! Doch niemand konnte ahnen, welchen Lauf das Wochenende nehmen würde. Während in Sarajevo ein Attentat auf den Thronfolger von Österreich-Ungarn verübt wird, stirbt der Oberlehrer Janota in der Pension der Schulklasse. Und ausgerechnet Mila war als letzte bei dem als Franzosenhasser bekannten Mann im Raum. Das Unheil nimmt seinen Lauf und Mila wird verhaftet!

Jürgen Seidel gelingt es, die Stimmung der Zeit, immerhin 100 Jahre zurückliegend, perfekt in Worte einzufangen. Er schreibt über diejenigen, die als erste an die Front geschickt wurden in einem Krieg, der nur ein paar Wochen dauern sollte. Junge Männer, die eine Zukunft hatten, auf dem besten Weg ihre Schule zu beenden und mit Idealen wie Freiheit und heldenhaften Ideen. Begleitet werden in „Der Krieg und das Mädchen“ Mila und Fritz, denn auch aus seiner Perspektive beobachtet man öfter das Geschehen. Seit sechs Monaten sind die beiden ein Paar, doch das ist anders zu verstehen als in der heutigen Zeit, wenn gleichaltrige Teenager miteinander gehen. Außer ein paar Spaziergängen im Park und Treffen mit Freunden in Cafés ist da noch nicht viel gelaufen. Mila würde schon gerne, also Fritz küssen. Fritz allerdings ist sich da nicht so sicher. Ihn plagen Gefühle, die er nicht einmal vor seiner Freundin preisgeben kann.

Dem Autor gelingt es, anhand dieser beiden Figuren ein Beziehungsgeflecht in ihr Umfeld zu entfalten, das vielschichtig ist. Und dominiert von Männern, wenn auch vor allem jungen Männern. Mit ihnen hat Mila einen Künstlerbund ins Leben gerufen, der sich für Freiheit und Frieden einsetzen will. Auf diesem Weg erfährt man im Verlauf des Romans nicht nur ganz selbstverständlich etwas über den beginnenden Kriegsverlauf und die dazugehörige Stimmung der Deutschen, sondern auch etwas über kulturelle Einstellungen und dabei wichtige Persönlichkeiten. Für lesebegeisterte Jugendliche ab 16 Jahren, die Interesse an historischen Themen haben, ist dieser Roman genau das Richtige! Seidel gelingt es, auf hervorragende Weise, ein Stück Zeitgeist so in Worte zu fassen, dass auch junge Leser und Leserinnen etwas Interessantes zwischen den Zeilen finden werden. Er besitzt das nötige Feingefühl, die menschlichen Beziehungen, Wünsche und Hoffnungen auf Seiten zu bannen. Dabei verwundert es kaum, dass die Lesezeit wie im Flug vergeht.

Im Anschluss an den Roman, der knapp hinter Kriegsbeginn endet, finden sich weitere Informationen zum Kriegsverlauf und seinen Folgen, die dafür sorgen, dass alles einen stimmigen Abschluss findet. Das besondere Highlight sind aber definitiv die toll ausgearbeiteten Figuren, die authentischer kaum wirken könnten. Ihre Sehnsüchte und Nöte werden greifbar und die Wahl eines Mädchens und eines Jungens hätte kaum besser gelingen können. Mila ist mutig und weiß, was sie will. Aber nicht immer gelingt es ihr, dies auch zu erreichen. Dafür sorgen allein schon die zeitlichen Umstände. Fritz ist unsicher, fühlt sich angesteckt von der Euphorie auf den Krieg, spürt aber in seinem Inneren auch Gefühle, mit denen er nicht umzugehen weiß. Für ihn wird das Gefecht im Krieg zu einer Möglichkeit, sich dieser Gefühle klarer zu werden. Beide gemeinsam sorgen für ein umfassendes Bild aus der jungen Gesellschaft, da sie zudem auch noch die unterschiedlichsten Personen kennen.

Ein toller Roman über den Beginn des Ersten Weltkrieges, aus Sicht einer jungen Generation, deren Stimme der Autor toll erfasst hat.

Jürgen Seidel: Der Krieg und das Mädchen.
cbj, Februar 2014.
480 Seiten, Gebundene Ausgabe, 16,99 Euro.

Diese Rezension wurde verfasst von Janine Gimbel.

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