Liebe Theresa, lieber Stefan,
schon bald, nachdem ich mit dem Lesen eurer Korrespondenz begonnen hatte, regte sich in mir das Bedürfnis, mich in euren Austausch einzumischen. Ich meinte vermitteln zu können bzw. zu müssen. Ich sah die Barrikaden auf beiden Seiten und das Ringen darum, sich dem anderen verständlich zu machen. Wahrscheinlich wäre ich genauso gescheitert wir ihr.
Stefan ist Journalist und leitet das Kulturressort einer großen deutschen Wochenzeitschrift mit Sitz in Hamburg. Theresa hat den Hof ihres Vaters übernommen, auf biologische Landwirtschaft umgestellt und kämpft seither zwischen Melkstand, Traktor und Bürokratieumdas wirtschaftliche Überleben. Die beiden kennen sich vom Studium, hatten sich lange aus den Augen verloren und zufällig in Hamburg wieder getroffen.Sie vereinbaren einen Neuanfang.
Der daraus entstehende Austausch per WhatsApp und Mail wird schnell zu einem Streitgespräch über unterschiedliche Vorstellungen und Positionen. Theresa fühlt sich von den Gendersternchen in Stefans Texten provoziert, für ihn hingegen sind Theresas Kühe vor allem Klimakiller. Beide agieren authentisch und ihre Beweggründe sind nachvollziehbar.Im Prinzip wollen sie das Gleiche: Eine gerechte Gesellschaft in einer funktionierenden Demokratie und eine intakte Umwelt.Doch mangelnde Breitschaft, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen, führt schnell zu Unterstellungen und Vorwürfen. Ich habe immer den Eindruck, dass sie einander nicht zuhören und aneinander vorbeischreiben.Sie präsentieren Fakten, aber eigentlich geht es um Befindlichkeiten.Ich fand es ermutigend, dass sie trotzdem nicht hingeworfen und nach gemeinsamen Schnittmengen gesucht haben.
Breites Themenspektrum
Das Themenspektrum ist breit gefächert. Stefan berichtet von den Abläufen in der Redaktion, er erzählt von einem Projekt, welches ihm am Herzen liegt und von dessen Umsetzung. Theresa beschreibt ihren Arbeitsalltag zwischen Familie und Hof und wie sich die anhaltende Dürreperioden auf Ertrag und Arbeitsbelastung auswirkt. Die Mails handeln vonder Misere der Landwirtschaft zwischen Grundversorgung und Klimaschädlichkeit, vonGeschlechtergerechtigkeit, es geht auch um deutsche und europäische Politik und die Rolle von Subventionen, um bürokratische Hürden, um die Aufgaben der Journalisten zwischen Information und Kommentar.
Das alles durchdringende Thema jedoch sind die vielfältigen Formen von Kommunikation. Stefan und Theresa kommunizieren vorrangig per Mail und per WhatsApp, dabei fällt schnell auf, dass die zeitnahen Reaktionen über den Messenger deutlich schärfer verlaufen und nicht selten schon nach kurzem Hin und Her beleidigend werden. Beim Schreiben der Mails argumentieren beide im Wesentlichen sachlich. Der unüberlegte und teilweise übergriffige Schlagabtausch per WhatsApp erscheint dabei wie eine Vorahnung des Strudels, in den beide am Ende geraten.
Die Form des Briefromans ermöglicht dem Autorenpaar Juli Zeh und Simon Urban den glaubhaften Perspektivwechsel zwischen dem in seiner urbanen Blase gefangenen Stefan und der im täglichen Arbeitspensum eingespannten Theresa. Gleichzeitiggelingt es dabei, die Mechanismen innerhalb der sozialen Medien abzubilden. Sie zeigen die zerstörerische Kraft, die den Diskursen via Twitter oder Facebook innewohnt, wo es nur noch selten um Inhalte geht, aber immer um Lautstärke und Reichweite und das Besetzen von Schlagworten. Während es Stefan und Theresa immer wieder schaffen, ihre Debatte auf eine sachliche Ebene zurückzuführen, müssen sie erleben, wie schon ein einzelner unüberlegter Satz oder eine spontane Aktion einen Shitstorm auslösen und eine Existenz vernichten können. Beide müssen erkennen, wie wenig wirkmächtig sie sind.
Unglaubwürdige Figuren
Es stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch möglich ist, eine zielführende und lösungsorientierte Debatte zu führen bzw. wie sie wieder gelingen kann. Doch der Schwarm, den Rotzlöffel*innen wie Leonie aktivieren – sie ist im übrigen für mich die einzige unglaubwürdige Figur im Buch, weil in ihrer Darstellung der Begriff „Aktivist“ zum Schimpfwort verkommt – dieser Schwarm besteht aus vielen Einzelnen, aus uns, und wir tragen Verantwortung. Das sollte uns bewusst sein, bevor wir zynische Sprüche in die Tastatur hämmern und in die Welt schicken. Echte Demokratie braucht schließlich die Vielfalt der Meinungen, um einen guten Weg für alle zu finden.
Juli Zeh, Simon Urban: Zwischen Welten.
Luchterhand, Januar 2023.
448 Seiten, gebundene Ausgabe, 24,00 Euro.
Diese Rezension wurde verfasst von Jana Jordan.